Madeline Miller, Galatea. Erzählung, illustriert von Thomke Meyer, Madeline Miller, Galatea. Erzählung, illustriert von Thomke Meyer, München (Eisele) 2022, ISBN 978-3-96161-141-6, € 20,00
Pygmalions Geschichte ist, eingewoben in die tragische Erzählung des Orpheus, insbesondere durch Ovid bekannt: Die Erschaffung und Verwandlung der unvergleichlichen Statue in eine echte Frau mit Hilfe der Göttin Venus sowie die Eheschließung, die durch das Kind Paphos gesegnet wird, ist Thema einer Sage, die Orpheus nach dem erneuten und endgültigen Verlust seiner Eurydike preisgibt (Ov. met. 10,243–297). Während die Geschichte des antiken Dichters mit der Erwähnung der Empfängnis endet, beginnt Millers Kurzgeschichte nach einem weiteren Zeitsprung von zehn Jahren und gibt Galatea, dem einstigen Kunstwerk, neben ihrem Namen auch noch eine Stimme und einen starken Willen, um ihre Gefühle und Sicht der Ereignisse auszudrücken und nach ihren Interessen zu handeln. Wie in ihren anderen Werken („Das Lied des Achill“ und „ Ich bin Circe“) entsteht das W(underw)erk also durch einen deutlichen Perspektivwechsel. In ihrem Vorwort beschreibt Miller Pygmalion als Prototyp des Incel und macht bereits damit klar, was sie vom ursprünglichen Blickwinkel des Mythos hält. Gestärkt wird von ihr indes die feminine Willenskraft der Mütter, die keine Grenzen kennt. So befindet sich Galatea in der fingierten Fortsetzung des Mythos eingesperrt in ärztlicher Betreuung, da sie versucht hatte, gemeinsam mit ihrer Tochter dem lieblosen Pygmalion zu entkommen. Um ihrem Kind ein besseres Leben ermöglichen zu können, fasst Galatea einen Plan, den sie entschlossen und trotz aller eigenen Einbußen umsetzt.Das Opusculum wird mit einem Vorwort geziert, enthält für den eigenen Abgleich die Holzberg-Übersetzung der ovidischen Fassung und schließt mit einem Nachwort Knabls. Eine besonders künstlerisch ansprechende Gestaltung wird durch die in Blautönen gehaltene Illustration Meyers erreicht, die sowohl die Stimmung als auch das Ende der Geschichte zu unterstreichen sucht.
Anna Stöcker