Neuerscheinung des Monats

Jasmine Mas, Blood of Hercules. Berühre sie und stirb. Düsterer Roman. Villains of Lore, Band 1. Übersetzt von Julia Schwenk und Kira Wolf-Marz, Frankfurt am Main (S. Fischer Verlag) 2025, 608 Seiten, 25,00 € (Englische Originalausgabe: Blood of Hercules, London 2024).

Das Buch wurde, da es erst am 23. April 2025 in Deutsch erschien, auf Englisch gelesen. Somit kann über die Übersetzungsqualität dieser Ausgabe keine Aussage getroffen werden.

Die 27-jährige Autorin Jasmine Mas studierte laut Eigenaussage auf Ihrer Homepage Altertumswissenschaften an der Georgetown University und schreibt besonders gerne dark enemies to lovers romantasy Bücher, die moralisch graue Männer, sarkastische Frauen und eine slow-burn Beziehung beinhalten. Diese Kombination, die mit den Worten „düsterer Romantasy-Bestseller mit Blut, Spice und Tränen“ angepriesen wird, hat es nun tatsächlich geschafft, BookTok (den bibliophilen Teil des sozialen Netzwerkes TikTok) zu erobern und Interesse an der griechisch-römischen Mythologie zu wecken.

Die dystopische Geschichte beginnt im Jahr 2090: Wir lernen aus Sicht des Kindes Alexis Hert ihre Welt kennen. Sie lebt in einer Wohnwagensiedlung bei Adoptiveltern, die sie denkbar schlecht behandeln. Nichtsdestotrotz bekommt die Familie Zuwachs, den Jungen Charlie. Dieser ist vorerst Alexis‘ einziger Freund, da sich ihr Status und ihr Desinteresse an menschlichem (Körper-)Kontakt auf ihre sozialen Kontakte auswirken. Allerdings schließt sie innige Freundschaft mit der Schlange Nyx, die ihr nicht von der Seite weicht und mit der sie sogar reden kann, obwohl niemand außer ihr sie sehen kann.

Nach einem Zeitsprung wird auch der chaotische Zustand der Welt im Allgemeinen deutlich: Die Menschen befinden sich im Kriegszustand. So kommen auch Alexis‘ Adoptiveltern bei einem Angriff ums Leben. Folgend müssen Alexis und ihr Bruder sich allein durchschlagen. Während die bösen Titanen die Menschen und Götter – hier: Spartaner – bedrohen, versuchen Götter für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Wichtig ist hierbei zudem die Unterteilung der Götterhäuser in olympisch (deren göttliche Kräfte ihre eigenen körperlichen oder mentalen Fähigkeiten verstärken) und chtonisch (deren Kräfte sich wiederum nur auf das Zufügen von Leid und Schaden anderer konzentrieren).

Eine Verbindung der beiden Welten kommt zustande, als sich nach einem weiteren und größeren Zeitsprung bei ihren Abschlussprüfungen herausstellt, dass Alexis selbst ein Götterspross ist. Ein Mischling, der allerdings nie von einem Gott oder einer Göttin als legitimiertes Kind angenommen wurde. Dies führt dazu, dass sie umgehend ihre Frau stehen und mit 49 Männern – denn die Götter haben derweil ein Fortpflanzungsproblem – um die Aufnahme in der spartanischen Kriegsakademie in den Dolomiten kämpfen muss. Auf wunderhafte Weise und ohne jeden Überlebenswillen schafft es Alexis und muss sich im folgenden Jahr gemeinsam mit neun anderen, die sich behauptet haben, würdig erweisen, an ihrem 21. Geburtstag unsterblich zu werden. Und das ist alles andere als einfach: Es entpuppen sich die Unterrichtsmethoden, ihre Kommilitonen und Lehrer als lebensgefährlich. Jeweils zwei Wochen lang erlebt sie Unterricht ohne Essen, Trinken oder Schlaf, dafür aber mit einer Menge körperlicher Ertüchtigung und Demütigung. Darauf folgen zwei Wochen der „Erholung“, die sie bei ihren Mentoren, den chtonischen Göttern Achill und Patro, verbringt.

Wird Alexis überleben? Welche Fähigkeit wird sie entwickeln? Zu welchem magischen Tier wird sie im Laufe des Jahres eine Bindung aufbauen? Wird sie als Frau respektiert werden und mit den Männern mithalten können? Welcher Gott bzw. welche Göttin wird sich am Ende als ihre Familie offenbaren? Welche(r) der vielen Interessenten schafft (schaffen) es, sie und ihren Körper für sich zu gewinnen und sie in die obligatorische Ehe zu führen? Und… was geschieht im zweiten Band?

Der Inhalt dieser Geschichte hält, was er als Bestseller verspricht und verbindet auf völlig neue Weise Elemente der griechischen Mythologie mit den beliebtesten Themen und Topoi unserer Zeit. Doch jede*r klassische Philologe*in sei gewarnt: Neben sehr freier Umdichtung kommt die lateinische Sprache zwar tatsächlich zu Wort, doch nur ein einziges Mal ist der Inhalt fehlerfrei übersetzt. Ummit dem Motto zu schließen, das dem Buch vorangestellt wird: Fides est periculosa ludum!

Anna Stöcker, Bergische Universität Wuppertal

D. Galfré/Chr. Schubert (Hrsgg.), >Suétone narrateur<. Biographie und Erzählung in Vita Caesarum. Millenium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrhunderts. n. Chr. Bd. 106. De Gruyter. Berlin/Boston 2024, EUR 99, 95 (ISBN 978-3-11-133323-69.

Die Herausgeber des zu besprechenden Bandes, Edoardo Galfré und Christoph Schubert, haben acht Beiträge zusammengestellt, die auf „einer vom Institut für Alte Sprachen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg organisierten und wegen der damals herrschenden Corona-Pandemie online“ durchgeführten Tagung gehalten wurden. Um den Titel >Suétone narrateur< einordnen zu können, muss man wissen, dass Jacques Gascou ein Opus herausgegeben hat, das mit >Suétone historien< betitelt ist (J. Gascou, Suétone historien. Rome 1984) und gemeinsam mit zwei anderen Publikationen (Barry Baldwin, Suetonius. The Biographer of the Caesars, Amsterdam 1983 und Andrew Wallace-Hadrill, Suetonius. The Scholar and his Caesars, London 1983) eine entscheidende Revision in der Einschätzung der Kaiserbiographien Suetons einleitete. In der sehr ausführlichen Einleitung, die beide genannten Herausgeber verfasst haben, steht Sueton als Erzähler im Vordergrund; E. Galfré und Chr. Schubert erläutern den aktuellen Forschungsstand und die methodischen Zugriffe, deren sich die Forscherinnen und Forscher bedient haben, und skizzieren in gebotener Kürze die Ergebnisse der Beiträge, wobei jeweils zwei Aufsätze einem Untertitel zugeordnet werden. Nach Aussagen der beiden Herausgeber basieren die Aufsätze auf einem Ansatz, „der auf den literaturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Interpretationsmitteln der Narratologie beruht“ (3). Sie möchten erreichen, dass mit der Studie ein Desiderat „zumindest ansatzweise“ gefüllt wird, nämlich die Art und Weise zu analysieren, „wie sich die genannten und weitere erzählerische Mittel der ganz besonderen Form und der auf den ersten Blick rigiden Struktur der Kaiserbiographien anpassen“ (4). Einige Forscherinnen und Forscher wenden sich unter anderem der Frage zu, welche Funktion die Doppel- und Mehrfacherzählungen in den Viten einnehmen. Es soll auch erörtert werden, wie die Kaiserviten in die „Gattungstradition(en)“ der griechisch-römischen Biographie eingeordnet werden können (5). Der Blick wird außerdem auf die Frage gerichtet, wie es Sueton gelingt, zwischen sich und dem Leser einen „Dialog“ „über den berichteten Sachverhalt“ herzustellen, „sei es durch die direkten Aussagen des Autors in erster Person, sei es indirekt durch eine Vielfalt an narrativen Mitteln, wie die besondere Stellung des zu berichtenden Stoffes, Wiederholungen, Kontrastierungen, Weglassungen, den Zusammenstoß widersprüchlichen Materials usw.“ (7). Am Ende der Einleitung findet sich ein Literaturverzeichnis mit wichtigen Titeln zur Forschungslage (16-17). Ein solches wird den Leserinnen und Lesern jeweils am Schluss eines jeden Beitrags angeboten.

Einige Beiträge werde ich ausführlicher besprechen, in den anderen Fällen werde ich zumindest die Autoren/Autorinnen und die Titel anführen, damit sich die Leserinnen und Leser selbst einen Überblick verschaffen können.

Der erste Block lautet: Erzählerische Variationen (19-59). Dennis Pausch (P.) liefert dazu den ersten Beitrag: „Audiatur er altera pars? Multiperspektivität als narratives Prinzip bei Sueton“ (21-39). Er leitet seine Überlegungen mit dem Hinweis darauf ein, dass ein konstitutives Element antiker Geschichtsschreibung Reden darstellen, mit denen es dem Biografen gelingen kann, eine „multiperspektivische Sichtweise“ zu präsentieren (21). Sueton allerdings verzichtet auf solche Reden; P. sieht diesen Verzicht „nicht mehr nur als Gewinn an Objektivität, wie man wegen ihres weitgehend fiktiven Inhaltes meinen könnte, sondern als Verlust an Ausgewogenheit, da auf diese Weise nur noch eine Seite zu Wort zu kommen scheint“ (22). Sueton wählt offensichtlich ein anderes Verfahren, um zwei unterschiedliche Perspektiven zu präsentieren. Dies gelingt ihm dadurch, dass er Rubriken gegenüberstellt; dadurch kommt es zwar zu Wiederholungen, die in der Forschung immer wieder kritisiert wurden, aber auch zu Kontrastierungen von Schilderungen (23ff.). P. arbeitet heraus, dass Sueton Gerüchte wiedergibt und damit ein weiteres Mittel der Perspektivierung benutzt (26ff.). Unterschiedliche und widersprüchliche Positionen zu unterbreiten schafft Sueton durch Quellenzitate anstatt in Figurenreden, die antike Historiographen sonst gerne in ihre Darlegungen einbauen. Am Ende seiner Analysen betont P., dass es zwei Betrachtungsweisen geben kann, wie man die von Sueton gewählten Verfahren für eine Multiperspektivität ansehen kann; ein entgegenkommender Blick auf die Viten Suetons lässt ihn als einen „methodisch reflektierten Autor“ erscheinen (37); „in einer weniger wohlwollenden Sichtweise lassen sich die gleichen Darstellungsstrategien aber auch als nur scheinbar offen und objektiv, in Wirklichkeit aber suggestiv und damit manipulativ verstehen, da es sicherlich keine neue Erkenntnis ist, dass wir alle dazu neigen, etwas eher für richtig zu halten, wenn wir den Eindruck haben, selbst darauf gekommen zu sein“ (37). Diese Auffassung verdankt P. Überlegungen von Michael von Albrecht, die er in seiner Literaturgeschichte geäußert hat (M. v. A., Von Andronicus bis Boethius. Mit Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Neuzeit. Bd. 2. Bern/München 1992, 1116: „Als geschickter Psychologe suggeriert der Biograph Urteile, statt sie auszusprechen.“).

Den zweiten Beitrag im ersten Block präsentiert Verena Schulz (S.): „Suetons Doppelerzählungen als kreative Leerstellen“ (41-59). Um die These ihrer Untersuchung vorzubereiten beginnt sie mit der Information, dass Sueton den Tod des Kaisers Titus zweimal in seinen Viten erzählt. In der diesem Herrscher gewidmeten Lebensbeschreibung teilt Sueton mit, dass er an einem Fieber gestorben ist (Tit. 10-11); in der darauffolgenden Domitianvita erfährt man, dass „Domitian eine Mitschuld am Tod seines Bruders hatte." (41). Danach habe der Kaiser seinen Bruder „wie einen Toten im Stich gelassen, bevor er seine Seele ganz ausgehaucht hatte“ (Dom. 2, 3). S. konstatiert, dass die erste Version für die Leser „unvollständig oder irreführend“ war, der Leser müsse das Bild „von den beteiligten Akteuren“ revidieren (41). S. hält solche Doppelerzählungen für ein Merkmal von Suetons Komposition und untersucht eine derartige Vorgehensweise mit der Frage, welchen Eindruck sie auf den Leser auslösen (42). Sie greift dabei auf Konzepte der Rezeptionsästhetik und auf dem des Ereignisses zurück, um dann vier Typen von Doppelerzählungen zu analysieren. Sie orientiert sich an Vorstellungen von Wolfgang Iser zurück (W. I., Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung. München 1976) und erläutert zunächst den Begriff ‚Leerstelle‘ (42), um dann darauf zu verweisen, dass die beiden zitierten Stellen zum Tode des Titus als Leerstelle zu begreifen sind (43). Da die genannten Stellen so kurz nacheinander dem Leser präsentiert werden, entstehe bei ihm das Bedürfnis, „das Verhältnis der Textsegmente zueinander zu bestimmen“ (43). Während W. Iser vor allem englische Romane analysiert und die Kategorie der Anschließbarkeit herangezogen hat und dabei „den Text als Sachtext fokussiert, der Inhalte argumentativ entwickelt und Informationen vermitteln möchte“, ist S. davon überzeugt, dass „die argumentative Entfaltung von Sachverhalten und die Darstellung von Informationen über gegebene Gegenstände wie den Tod eines Kaisers“ ein entscheidendes Element der Kaiserviten darstellen (43). Im Falle des zweiten genannten Begriffs, nämlich des Ereignisses, orientiert sich S. an Publikationen von Wolf Schmid und Peter Hühn (W. S., Mentale Ereignisse. Bewusstseinsveränderungen in europäischen Erzählwerken vom Mittelalter bis zur Moderne, Berlin/Boston 2017 und P. Hühn, „Event and Eventfulness, in: P. Hühn/J. C. Meister/J. Pier/W. Schmid (edd.), Handbook of Narratology, I, Berlin/Boston 22014, 159-178). Dabei können entsprechend den Vorstellungen der beiden genannten Forscher ‚Ereignisse‘ als „erzählenswerte tatsächliche (…) Veränderungen in der Erzählung, die abgeschlossen sind und sich durch Relevanz, Plötzlichkeit bzw. Unvorhersehbarkeit und Ungewöhnlichkeit auszeichnen“ (44), begriffen werden. Und in der Tat kann der Tod des Titus als „eine relevante, plötzliche und ungewöhnliche Veränderung in der Erzählung Suetons“ verstanden werden (44). S. differenziert bei ihrer Untersuchung vier Typen von Doppelerzählungen „nach dem inhaltlich-logischen Verhältnis der Textsegmente“ (44). Der erste Typ lässt sich dadurch charakterisieren, dass in der zweiten Erzählung ein Detail vorkommt, das dort besser passt als in der ersten. Es handelt sich gewissermaßen um eine Ergänzung. Dieser Typ ist nach Analysen von S. der häufigste (45). Ein Beispiel aus den Viten Suetons sind die Informationen des Autors über die militärischen Erfolge des Tiberius, die sowohl in der Augustusvita zu lesen sind als auch in der des Tiberius (Aug. 21.1-2; Tib. 9.1-2). Der zweite und seltenere Typ ist daran erkennbar, dass in der zweiten Erzählung eine Art Zusammenfassung geboten wird, wobei mehrere neue Details hinzutreten können (46). In der Caesarvita spricht Sueton an zwei Stellen von der Scheidung Caesars von Pompeia; dabei ist die zweite Erzählung erheblich umfangreicher (Iul. 6.2; Iul. 74.2). Beim dritten Typus wird eine Neubewertung vorgenommen; hier können die beiden Erzählungen in unterschiedlichen Rubriken platziert werden, wodurch eine Multiperspektivität erzielt wird (46ff.). Ein Beispiel dafür ist die Erzählung von Caligulas Brückenbau, einmal als Schauspiel (Cal. 22.1), ein zweites Mal in der Rubrik saevitia (Cal. 32.1), wo die Information geliefert wird, dass dies ein grausames Ereignis darstellt. Beim vierten Typus schließlich stellt sich in der zweiten Erzählung heraus, dass die erste „sachlich falsch oder irreführend“ war (50). Auch in diesem Fall präsentiert S. ein passendes Beispiel (Calig. 15.4; Calig. 30.2). Hierbei handelt es sich um ein Dokument, das in der ersten Fassung als verbrannt dargestellt wurde, in der zweiten Erzählung erfahren die Leser, dass eine Täuschung vorlag und das Dokument doch nicht vernichtet wurde (51). Durch die von Sueton gewählte Disposition der Doppelerzählungen wird die Aufmerksamkeit der Leser eingefordert, denn es handelt sich nachweislich um ästhetisch anspruchsvolle Texte.

Der zweite Block Tyrannenerzählungen (61-95) umfasst folgende zwei Beiträge: Nicoletta Bruno, „Suetonius on Tiberius‘ Misanthropy and Self-Reproach“ (63-81) sowie Alessio Mancini, „Nochmals Neros Tod: Aufbau und Intratextualität“ (83-95). Der dritte Block Im Labor des Erzählers (97-133) enthält folgende Beiträge: Margherita Fantoli, „Phrases à rallonge in Suetonius‘ De vita Caesarum: Communications Patterns“ (99-118) und Edoardo Galfré, „Zwischen Biographie und Dichtung. Zur Rolle der Literatur in Suetons De vita Caesarum“ (119-133). Dem vierten Block, der den Titel Mikro -und Makrostrukturen (134-181) trägt, haben die Herausgeber ebenfalls zwei Beiträge zugeordnet: Matthias Grandl, „Suétone micro-narrateur. ‚Aspekte‘ anekdotischer Erzählzeit in Suetons De vita Caesarum“ (137-161) und Robert Kirstein, „Mikronarrativik und Multiperspektivität in Suetons De vita Caesarum“ (163-181). Den Band beschließt der Index rerum (183-184).

Der letzte Beitrag von R. Kirstein (K.) enthält einige Fragestellungen, die in den vorhergehenden Aufsätzen thematisiert wurden. Zwei charakteristische Merkmale der Narrativik Suetons dienen dazu, seine besondere Erzählweise näher zu bestimmen; einmal lässt sich vor allem bei den Anfangsabschnitten einer jeden Vita eine Erzähleinheit erkennen (Mikronarrativ), die auf ein Ereignis konzentriert ist, zum anderen geht es darum, in welcher Weise die Multiperspektivität ausgeprägt ist. Exemplarisch erläutert K. seine Vorstellungen anhand der Viten zu Augustus (167-170), Nero (170-172) und Domitian (172-173). Er greift dabei auf ein Modell von M. - L. Ryan (The Modes of Narrativity and their Visual Metaphors, in: Style 26, 1992, 368-387) zurück, bei dem „zwölf verschiedene Kategorien von Narrativität“ unterschieden werden (166). Da Sueton in seinen Viten unterschiedliche Erzählstrategien auf komplexe Art und Weise miteinander verbindet, sind sie geeignet, „die Bezüge zwischen faktualem und fiktionalem Erzählen auszuloten“ (178).

Michael von Albrecht hatte 1992 in seiner bereits zitierten Geschichte der römischen Literatur folgendes konstatiert: „Sueton gehört zu den römischen Autoren, die am stärksten fortgewirkt haben“ (1116). Daher war und ist es erforderlich und gerechtfertigt, dass sich die Forschung verstärkt der Analyse der Viten des Sueton widmet. Derselbe Heidelberger Forscher hat auch auf ein wichtiges bis dahin noch nicht gelöstes Problem hingewiesen, nämlich auf „die Bezogenheit der verschiedenen Lebensbeschreibungen aufeinander“ (1109). Dieses Problem wurde auf der Tagung der Universität Erlangen-Nürnberg behandelt, und dabei wurden bereits wichtige Lösungsvorschläge unterbreitet.

„Eines der wichtigsten Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen besteht genau darin, die Kaiserbiographien Suetons als ein Werk zu erfassen, welches die Fähigkeit des Lesers, das historische Geschehen und dessen Wiedergabe in biographischer Form zu interpretieren, in besonderem Maße herausfordert.“ (7).

Die Autorinnen und Autoren haben instruktive und gut lesbare Beiträge geliefert, auf die die zukünftige Forschung mit Gewinn zurückgreifen kann. Sie zeichnen sich auch darin aus, dass sie nicht additiv aneinandergereiht sind, sondern aufeinander Bezug nehmen, insbesondere der letzte Beitrag bündelt einige interessante Aspekte.

Rezensent: Dietmar Schmitz

Arlene Holmes-Henderson (Hrsg.), Expanding Classics. Practionner perspectives from museums and schools, London/New York (Routledge) 2023, ISBN 978-1-032-021171-1 (Paperback), ca. 25 €

An sich sprechen zwei Gründe dagegen, dieses Buch hier vorzustellen: Erstens ist keine Neuerscheinung im engeren Sinne mehr, zweitens bezieht es sich sehr spezifisch auf die Situation in Großbritannien. Gleichwohl spricht das 132-seitige Opusculum in seinen sieben Beiträgen ebenso aktuelle wie übertragbare Einsichten über die, sagen wir einmal, klassische Bildung („altsprachlicher Unterricht“ griffe eben zu kurz) an, dass zumindest ein kurzer Blick lohnt. Die Herausgeberin beginnt mit einer etwas bedrückenden Bestandsaufnahme: Die Alten Sprachen gelten in der öffentlichen Wahrnehmung öfter als kolonialistisch, exklusiv, elitär und selektiv und finden (deswegen) höchstens befürwortende Stimmen aus dem extremen rechten politischen Spektrum, auch das aber nur vereinzelt. Dem stellt Arlene Holmes-Henderson nun sieben best practice-Beispiele gegenüber: Sie beginnt mit einem Bericht über ihr eigenes Projekt über Latein- und Griechischunterricht für 6- bis 11-Jährige. In der begleitenden Längsschnittstudie konnte empirisch nachgewiesen werden, das davon gerade nicht ohnehin begabte, sondern solche mit unterdurchschnittlichen Leistungen am meisten profitieren. In eine ähnliche Richtung geht der folgende Beitrag von Peter Wright, der positive Erfahrungen bei der Neueinführung von (um es einmal grob zu vereinfachen) nicht-gymnasialem Latein in Schulen mit besonderer sozialer Problemstellung berichtet. Bei Anna Blohr, Meghan McCabe und Arlene Holmes-Henderson geht es um die Wirkungen einer Lektüre antiker Klassiker (insbesondere der Odyssee) in Übersetzung auf die sprachliche Bildung von Schülerinnen und Schülern mit (Flucht- und) Migrationshintergrund. Alex Gruar lotet die (in den Lehrbüchern noch nicht ausgeschöpften) thematischen Potentiale für ethnische Diversität aus und die Wirkung einer entsprechenden Perspektive aus Lernende mit Migrationshintergründen aus. Anna McOmish weist au die Chancen eines Geschichtsunterrichts hin, der durch eine breitere Berücksichtigung des Alten Orients Schülerinnen und Schülern inkludierende Zugänge bietet. Susanne Turner schildert Angebote des „Museum of Classical Archeology“ in Cambridge, die innovativ und niedrigschwellig neuen Gruppen von Besucherinnen und Besuchern die Kunst und Alltagskultur der Antike nahebringen. Emma Payne und Laura Gibson schließlich schildern den Einsatz von mit dem 3D-Drucker erzeugten Repliken im Unterricht.

Das Buch bezieht sich angesichts der ausgeprägten Praxisorientierung stark auf das britische Schulsystem. Doch gerade im Hinblick auf neue Orte des altsprachlichen Unterrichts, auf lohnende Kompetenzziele auch unterhalb des (kleinen) Latinums oder des Graecums, auf die Chancen der Lektüre in Übersetzung und auf die sich aus dem interdisziplinären Konzept der „Classics“ ergebende holistische Sicht auf den Bildungswert der Antike hält manche Anregungen bereit - und das mit einem durchweg ermutigenden Tenor.

Stefan Freund 

Jennifer Saint, Ich, Ariadne. Roman. Übersetzt aus dem Englischen von Simone Jakob, Berlin (Ullstein) 2022, ISBN 978-3-548-06708-7, 416 Seiten, € 16,99 (Englische Originalausgabe: Ariadne, London 2021)

Die britische Schriftstellerin Jennifer Saint hat am King’s College in London unter anderem Altphilologie studiert. In ihrem Debütroman „Ich, Ariadne“ widmet sie sich der Neuinterpretation eines bzw. mehrerer klassischer griechischer Mythen, wobei der zentrale Latinist:innen beispielsweise auch durch Ovids zehnten Heroides-Brief bestens bekannt ist. Die Übersetzung von Simone Jakob fängt die kraftvolle und anschauliche Sprache der Autorin gut ein, sodass die atmosphärische Dichte und Emotionalität im Deutschen erhalten bleiben.

Aus den Perspektiven von Ariadne und Phädra, den Töchtern von König Minos von Kreta und Schwestern des Minotaurus, schildert Saint deren Leben im Palast von Knossos, auf der Insel Naxos und in Athen. Die beiden Figuren fungieren als Ich-Erzählerinnen, wobei Ariadne – wie der Titel bereits impliziert – insgesamt präsenter ist. Untergliedert ist der Roman in vier Teile, die verschiedene Lebensabschnitte Ariadnes (die Flucht aus Kreta, das Leben auf Naxos, das Wiedersehen mit Phädra, der Konflikt zwischen Dionysos und Perseus) schildern: Ihr Leben ist geprägt von Verrat, familiären Konflikten und dem Streben nach Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung. Nach ihrem eigenen Verrat an ihrer Familie und Kreta, indem sie dem Gefangenen Theseus hilft, den Minotaurus zu töten, wird Ariadne von diesem im Laufe der gemeinsamen Flucht auf der Insel Naxos zurückgelassen. Dort begegnet sie später dem Gott Dionysos, heiratet ihn und genießt zwischenzeitlich ein glückliches und abgeschiedenes Leben. Währenddessen muss Ariadnes Schwester Phädra Theseus heiraten und verbringt in Athen als dessen Gattin ein liebloses Leben – bis sie Hippolytus, Theseus‘ Stiefsohn, kennenlernt. Von diesem zurückgewiesen begeht Phädra schließlich Suizid, woraufhin Theseus fälschlicherweise bei Hippolytus die Schuld für den Tod seiner Ehefrau sucht und ihn bis zu seinem Ableben verfolgt. Auch Ariadne wird schließlich Opfer eines Konflikts zwischen zwei Männern: Dionysos ist erzürnt aufgrund der Ablehnung seines Kults durch seinen Halbbruder Perseus in Argos – es kommt zum Kampf, Ariadne gerät buchstäblich zwischen die Fronten.

Geschickt verwebt Saint bekannte Mythen mit feministischen Themen wie Emanzipation und der Hinterfragung der Rolle von Frauen in patriarchalen Strukturen. Dabei beleuchtet sie auch die Machtlosigkeit der Menschen gegenüber den Gött:innen. Ariadnes Schicksal wird zur Metapher für den Kampf um Autonomie und Selbstbestimmung in einer von Männern dominierten Welt. Im Lauf der Geschichte werden zudem weitere weibliche Schicksale wie die von Pasiphaë, Semele und Medusa ausführlich geschildert. Die Geschichten von männlichen Figuren (beispielsweise Minos, Dädalus und Ikarus, Perseus, Theseus, aber auch Dionysos) werden dabei nicht ausgespart, doch der Fokus liegt ebenso klar wie kontinuierlich auf den Frauenfiguren. Die Stärke des Romans ist insbesondere deren Charakterzeichnung: Ariadne ist eine vielschichtige Figur – mutig, verletzlich und zerrissen zwischen ihren Wünschen und den Erwartungen, die an sie gestellt werden. Auch Phädra und ihr Denken, ihre Starrköpfigkeit, aber auch ihr Scharfsinn, werden eindrucksvoll dargestellt. Saint setzt sich intensiv mit den inneren Konflikten der Protagonistinnen auseinander und gibt ihnen eine Tiefe, die ihnen in den ursprünglichen Mythen oft fehlt. Die mythologische Welt wird detailliert und bildhaft beschrieben, bildet dabei jedoch vor allem die Bühne für die die Gefühle und Gedanken der Figuren, die stets im Vordergrund stehen.

Im Ullstein-Verlag weiterhin erschienen sind Saints Romane „Atalanta“ und „Elektra, die hell Leuchtende“.

Philipp Buckl, Bergische Universität Wuppertal

ich ariadne

Rez. zu: K. – W. Weeber, Latein und Griechisch für jeden Tag. 365 Aha-Erlebnisse. Reclam Verlag: Ditzingen 2024. EUR 10,- (ISBN 978-3-15-014606-4).

Jeder kennt einen Abreißkalender; er gibt auf jedem Blatt das jeweilige Datum an, oft befinden sich mehr oder weniger interessante Informationen zu verschiedenen Themen wie Gedenktage, Namenstage oder auch Tipps zum Kochen und Sprüche usw. Der bekannte Altertumswissenschaftler Karl-Wilhelm Weeber (W.) hat ein Buch herausgegeben, in dem die Leserinnen und Leser aufschlussreiche Details nicht nur zur antiken Kultur, sondern auch fundierte Erklärungen zu aktuellen Begriffen und Themen finden, und zwar für jeden Tag des Jahres. Er geht dabei nicht von studierten Altphilologen als Leserkreis aus, sondern erläutert in gut verständlicher Sprache die Herkunft heutiger Wörter, die im Alltagsleben eine große Rolle spielen, deren Etymologie aber den meisten verborgen ist. Auf der Titelseite verspricht der Autor 365 Aha-Erlebnisse (laut Vorwort (S. 6) hat W. 366 Vorschläge unterbreitet, da er für den 29. Februar auch einige Gedanken formuliert hat). Das Opus wurde im Jahr 2024 publiziert, das bekanntlich einen Schalttag aufweist. Es ist natürlich möglich, chronologisch vorzugehen und an jedem Tag die Überlegungen, die W. dazu präsentiert und in der Regel auf eine Druckseite komprimiert, zu lesen. Man kann aber auch an einem beliebigen Tag beginnen, und wenn man daran Gefallen gefunden hat, die Erklärungen zu mehreren Tagen lesen. Weil das genannte Jahr ein Schaltjahr war, möchte ich mit den Ausführungen des Autors zum 29. Februar beginnen.

Der Begriff „Interkalation“, Titel des Beitrags zum besagten Tag, dürfte den meisten Leserinnen und Lesern nicht geläufig sein, das Faktum, um das es hier geht, sehr wohl. W. beginnt seine Ausführungen mit einem Zitat des römischen Biographen Sueton: Annumque ad cursum solis accomodavit, ut…unus dies quarto quoque anno intercalaretur/Übersetzung: „Und er (Rez.: damit ist Caesar gemeint) passte das Jahr dem Lauf der Sonne an, so dass…nur ein einziger Tag alle vier Jahre eingeschoben werden musste“ (Sueton, Caesar 40,1). W. weist daraufhin, dass in der Zeit vor Caesar der römische Kalender immer wieder verändert werden und Schalttage, ja sogar Schaltmonate „interkaliert“ werden mussten (77). Wenn W. einen lateinischen (oder auch griechischen) Begriff verwendet, übersetzt er diesen bzw. erläutert ihn umgehend. In diesem Fall informiert er darüber, dass es Aufgabe der Priester war, einen „Zwischenruf“ zu tätigen, wenn ein Schalttag bevorstand, „so die Grundbedeutung von inter-calare“. Gewissermaßen en passant erfahren die Leserinnen und Leser, dass zwar durch die Einführung des Julianischen Kalenders die zuvor vorhandene Verwirrung (confusio) beseitigt wurde, dass aber Papst Gregor durch seine Kalenderreform 1582 eine noch größere Genauigkeit erzielte, „indem er in sog. Säkularjahren (volle Hunderte) bis auf die durch 400 teilbaren auf die Interkalation des 29. Februars verzichtet“ (77). Abschließend erklärt W. auch die Bedeutung des Begriffs Interkalation (I.) im Bereich der Chemie, wobei er ausdrücklich darauf verweist, dass die chemische I. reversibel ist – im Unterschied zur kalendarischen; so gelingt es ihm, ein weiteres lateinisches Wort (in diesem Fall: reverti, „zurückkehren“) sowie die Bedeutung des Suffix -bel (lat. -bilis) den Leserinnen und Lesern näherzubringen. W. überfrachtet die einzelnen Lemmata mit solchen Hinweisen nicht, man erfährt aber auf diese Weise zahlreiche interessante Details nicht nur zur antiken Kultur, Geschichte und Politik, sondern auch zur aktuellen Gegenwart. Ein Blick in das Register (433-439) zeigt das große Spektrum der Begriffe (von A (internationale Autokennzeichen), über Basics, CEO, GPS, Kryptobörse, MRT, Performance, Recycling, Subsidiaritätsprinzip bis Zynismus), die W. erläutert und auf ihre sprachliche Herkunft und Bedeutung hin analysiert. Im Buch werden zahlreiche Kontexte einbezogen (antikes Kulturwissen, Architektur, Medizin, Musik, Naturwissenschaften, Politik, Sport, Technik, um nur einige Beispiele zu nennen). W. stellt aber nicht nur Besonderheiten der griechischen und lateinischen Sprache vor, sondern befasst sich auch mit der deutschen Sprache, mit der bekanntlich zuweilen auch Muttersprachler ihre Probleme haben. Hier wird deutlich, dass W. nicht nur Altertumswissenschaftler ist, der auf eine große Zahl von Veröffentlichungen zur antiken Kulturgeschichte schauen kann, sondern auch Gymnasiallehrer war, der jungen Menschen die korrekte Anwendung der deutschen Sprache beigebracht hat, vor allem im Fach Latein. In diesem Zusammenhang möchte ich einige Beispiele anführen, die auf sprachliche Probleme des Deutschen hinweisen. In der Rubrik „Extremist“ (40/41) informiert W. über das lateinische Etymon (extremus) und warnt davor, einen falschen Superlativ zu verwenden („Extremst“); diesen Begriff müsste man nämlich ins Deutsche folgendermaßen übertragen: „äußersterst“, eine Wortbildung, die verständlicherweise nicht erlaubt ist. Ein ähnlicher Fall liegt beim Wort: optimal vor (optimus), zu dem weder ein Komparativ (optimaler) noch ein Superlativ (optimalst) (41) gebildet werden kann. Wer als Schülerin/Schüler die Steigerungsformen von bonus, bona, bonum korrekt gelernt hat, wird die falschen Wortbildungen mit großer Wahrscheinlichkeit vermeiden. Zuweilen verwenden Sprecher ein falsches Genus bzw. einen falschen Artikel, selbst wenn die Etymologie des Wortes eindeutig ist; dies ist etwa der Fall beim >Zölibat<, im Deutschen eindeutig ein maskulines Lexem (lat. coelibatus). W. teilt dazu mit: „Das Fremdwort >Zölibat< ist relativ nahe am >Original<. Es ist und bleibt trotz häufiger >Neutralisierung< ein Maskulinum: der Zölibat“ (91). Ein Sonderfall liegt beim Begriff: Körper vor; er geht auf das lateinische Wort corpus zurück, das eindeutig ein Neutrum ist. Beim Übergang ins Deutsche hat es „eine Geschlechtsumwandlung zum Maskulinum“ (219) erfahren. „Anders dagegen, wenn man >Corpus< oder >Korpus< als Fremdwort – z. B. bei Möbeln – verwendet. Da sollte es weiterhin >das< heißen“ (219). Wieder anders gelagert ist der Fall beim Wort Agenda, eigentlich: Dinge, die zu tun sind (233). Grammatisch handelt es sich um eine Form, die im Plural Neutrum steht. Das End-a bei Neutrumwörtern wurde schon im Mittelalter oft als Feminin begriffen, und so ist auch die Mutation zu einem femininen Wort im Deutschen zu verstehen. Bezüglich der Betonung lassen sich im Deutschen ebenfalls zahlreiche Fehler entdecken; Unkenntnis beweist, wer das Fremdwort Konsens (von lat. consentire) auf der ersten Silbe betont: Kónsens (42/43).

Ein wichtiger Bereich sind die Fremdwörter im Deutschen, die häufig mit Elementen der griechischen und lateinischen Sprache gebildet werden. Immer wieder liefert W. in diesem Kontext Beispiele für produktive Wortbildungen, vor allem bei Neologismen. Auffallend häufig greift die deutsche Sprache dabei auf Prä-, In- oder Suffixe mit griechischen und lateinischen Elementen zurück. Beliebt sind etwa Wortschöpfungen auf -tor, wobei eine handelnde Person (nomen agentis) charakterisiert wird (Administrator, Konditor, Direktor usw.), auch Bildungen mit den Suffixen -phil und -phob lassen sich beobachten (hydrophil/Wasser anziehend; hydrophob/Wasser abstoßend) (342). Zahlreich sind auch Präfixbildungen mit -a oder -an, wenn das folgende Wort mit Vokal beginnt; Beispiele: Atheist, atypisch, asynchron, aber: Anarchie. W. liefert eine Reihe von weiteren Präfixbildungen. Man mag diese Thematik möglicherweise als etwas abgehoben einschätzen, aber wenn man bedenkt, dass Medizinstudentinnen/-studenten bis zu 10000 Fachbegriffe lernen müssen, ist es ratsam, über eine Liste mit Wortbildungsmustern zu verfügen, um alle diese Wörter zu lernen und später auch stets abrufen zu können. W. macht auf einige merkwürdig anmutende Wortbildungen aufmerksam, zum Beispiel bei den Wörtern Augenoptiker und Hörakustiker („optikós bedeutet „das Sehen betreffend““ (50); sehen kann man nur mit den Augen); hier liegt also eine Tautologie vor, ebenso wie bei dem anderen genannten Wort („akoustikós „das Gehör betreffend“ (50); hören kann man eben nur mit den Ohren). Die Beispiele lassen sich beliebig erweitern.

Die Aussprache bestimmter Konsonanten war im Lateinischen nicht immer kontinuierlich; so erinnert W. daran, dass der lateinische Buchstabe -c- ursprünglich wie -k- ausgesprochen wurde, seit dem 4. Jahrhundert sprach man das -c- allerdings wie -z- aus. Die deutsche Sprache hat zum Beispiel aus cella zwei Lehnwörter entwickelt: die Zelle und der Keller (49).

Die einzelnen Lemmata, die W. zu den Tagen im Jahr vorstellt, sind nicht stupide nach einem bestimmten Schema ausgewählt, sondern variieren; manchmal wird ein Gedenktag als Aufhänger verwendet (zum Beispiel Weltkrebstag: Art. Tumorzelle (48/49, 4. Februar), Welttag für menschenwürdige Arbeit: Art. Prekariat (332/333, 7. Oktober), National Sock Day: Art. Socke (396/397, 1. bzw. 4. Dezember), manchmal eine Abkürzung (CEO, 119/120, 6. April; GPS, 237/238, 17. Juli; SUV, 280/281, 23. August), manchmal auch ein aktueller Begriff (App Store, 230, 10. Juli; Cyberspace, 305/306, 14. September; postfaktisch, 30/31, 20. Januar).

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass W. ein kurzweiliges und lesenswertes Opus verfasst hat; er bietet gut verständliche etymologische Erläuterungen, erklärt die verwendeten Fremdwörter und Lehnwörter, präsentiert nützliche Wortbildungsmuster und gibt Hinweise dafür, dass es sich lohnt, die Alten Sprachen zu erlernen, und dass insbesondere Latein als Multifunktionsfach in der Schule fungieren kann.

Rezensent: Dietmar Schmitz

Unterkategorien