Neuerscheinung des Monats

Michael von Albrecht, Sermones. Satiren zur Gegenwart. Lateinisch und Deutsch. Ars Didactica Bd. 8. Hrsg. von Hans-Joachim Glücklich. Propylaeum: Heidelberg 2021. EUR 36, 90 (ISBN 978-3-96929-026-2)

Michael von Albrecht gilt als einer der profiliertesten Klassischen Philologen im deutschsprachigen Raum. Bekannt ist seine Geschichte der römischen Literatur. Von Andronicus bis Boethius (in mehreren Auflagen erschienen, in zahlreiche Sprachen übersetzt). Allen Studentinnen und Studenten zur Lektüre empfohlen sind die beiden Bücher Meister der römischen Prosa. Von Cato bis Apuleius und Römische Poesie. Texte und Interpretationen (ebenfalls jeweils mehrere Auflagen) sowie einschlägige Publikationen zu Lukrez, Ovid, Seneca und Vergil. Häufig werden dabei auch Rezeptionsdokumente berücksichtigt. Michael von Albrecht ist auch als Übersetzer zahlreicher römischer Autoren aufgetreten. Weniger bekannt ist allerdings, dass er einer der bedeutendsten lebenden Dichter in lateinischer Sprache ist. Er hat Oden, Elegien und Epigramme verfasst, jetzt sind seine Satiren erschienen. Michael von Albrecht hat sich Horaz als Vorbild genommen, denn seine Sermones orientieren sich durch die Wahl der Zehnzahl, ihre Verknüpfung von „moralischer Ernsthaftigkeit und humaner Heiterkeit“ (Michael Lobe, 121) an dem großen augustäischen Dichter. Natürlich kennt er die Meister römischer Satiren, angefangen bei Ennius, der sich mehrerer Versmaße bediente, über Lucilius, der den Hexameter für seine Dichtungen bevorzugte, bis Persius und Iuvenal.

Die Themen der Sermones/Satiren, überwiegend als Dialoge gestaltet, sind vielfältig und aktuell. Die Titel dieser Texte belegen dies: Neugier, Lebensmittelvergeudung, Hunde, Zukunftsforschung, Umwelt, Corona, Waffen, Wahrheit, Nützlichkeit alter Leute sowie Reklame.

Das Besondere an dem angezeigten Buch ist einerseits, dass ein heutiger Dichter sich der lateinischen Sprache bedient. Dies tut er in souveräner Art und Weise, denn viele Begriffe müssen in dieser Sprache neu geschaffen werden, also durch Neologismen. Andererseits liefert er eine Übersetzung ins Deutsche gleich mit. Dass Michael von Albrecht diese Sprache ebenfalls meisterhaft beherrscht, geht aus jedem Vers hervor. Dazu verwendet er den sogenannten Blankvers, der für die deutsche Sprache angemessener ist als der Hexameter.

Im Vorwort betont Hans-Joachim Glücklich, der Herausgeber des Buches, dass Michael von Albrecht „die Rolle eines Zeitbeobachters und Satirikers“ einnimmt (7). Er hat die Fähigkeit, genau hinzusehen, in die Gesellschaft gewissermaßen hineinzuhorchen, seine Beobachtungen klug und witzig zu formulieren, ohne verletzend zu sein. Das gesamte Buch ist ein Plädoyer zum Erlernen der lateinischen Sprache, stellt aber auch einen Anreiz dar, sich mit antiken Themen zu befassen, die bis in die heutige Zeit aktuell sind. „Latein ist eine besonders schöne Sprache, man muss sie nur zum Klingen bringen. Dann versetzen die rhythmischen Verse und ihre Laute den Leser in Schwingungen“ (Hans-Joachim Glücklich, Vorwort 7). 

Ein Textbeispiel mag belegen, wie souverän der Dichter mit den Themen, der lateinischen und der deutschen Sprache umgeht. Am Ende der dritten Satire, in der Michael von Albrecht auch auf Elemente der Fabel zurückgreift, hier in Anlehnung an die berühmte Fabel von der Stadtmaus und der Landmaus (Horaz), beschreibt er ein Hundeparadies. Zitiert werden die letzten Verse, 125-130:

Elysium hoc latrantum ubi sit, si forte requires,
vix animum induces: Clara reperitur in urbe
Afrorum, promunturiis ubi Spes Bona custos.
Africa, sunt populi innumeri tibi, mater, egentes,
Das catulo luxus, homini ieiunia linquis.
O Spesne ulla Bona est, in te quam ponere possim?

Fragst du, wo dieses Hundeparadies
denn sei? Du kommst nicht drauf: In Kapstadt ist’s,
ganz nah am Kap der Guten Hoffnung, Ach!
Gibst Hunden Luxus, Menschen lässt du darben.
Bleibt da ein Plätzchen noch für gute Hoffnung?

Hier stoßen Welten aufeinander, der Dichter wählt ausgerechnet den Gegensatz zwischen einem Hundeparadies und den Townships in Kapstadt. Für Michael Lobe, der die Einführung in die Satiren verfasst hat und eine Gesamtinterpretation liefert (119-127), handelt es sich um eine „dekadente Perversion“, die sich durch rhetorische Brillanz auszeichnet.

In der zweiten Satire, in dem die Lebensmittelvergeudung angeprangert wird, benutzt der Dichter für den Begriff Kaffee caffaea (Sat.II, V.11; es gibt in der neulateinischen Terminologie auch als Übersetzungsvorschläge: potio Arabica, coffeum, coffea). Kaffee gab es in der Antike bekanntlich nicht, und so müssen Neologismen verwendet werden.

In der fünften Satire wird der Umgang der Menschheit mit der Umwelt thematisiert. Dabei geht der Dichter auch auf das Faktum ein, dass viel Plastik in den Weltmeeren landet und der dortigen Tierwelt und damit letztendlich auch dem Menschen großen Schaden zufügt. Plastik ist ein Kunststoff, der in der Antike nicht hergestellt werden konnte. Michael von Albrecht wählt für Plastikmüll den lateinischen Ausdruck plastica materies (Sat. V, V. 41). Es gibt auch die Kombination materia plastica. Bei der Wahl der lateinischen Lexeme ist stets zu bedenken, dass sie in den Hexameter passen müssen.

Ein letztes Beispiel ist der zehnten Satire entnommen. Dort spricht der Dichter über Kühlschränke, die es natürlich in der Antike nicht gab; er benutzt die Kombination: armaria frigida (Sat. X, V. 98). Auch in diesem Fall gelingt es ihm meisterhaft, einen passenden Ausdruck zu finden (möglich wäre auch: armarium frigidarium, apparatus frigorificus oder einfach frigidarium). Aber, wie oben schon erwähnt, muss die Neuschöpfung am Hexameter orientiert sein.

Das Buch hat einen vielfältigen Blick auf verschiedene Leser; solche, die die lateinische Sprache beherrschen, solche, die dankbar sind für eine Übersetzung, und die Leserinnen und Leser, die sich gerne bei der Lektüre anleiten lassen. Dazu dienen einerseits die bereits erwähnte Gesamtinterpretation von Michael Lobe, andererseits die Methodischen Vorschläge zur genussreichen Lektüre der Sermones im Lateinunterricht, die der Herausgeber beisteuert (129-142). Zusätzlich bieten der Dichter und Michael Lobe Hilfen an, um einzelne Textstellen besser einordnen zu können: Adnotationes. Anmerkungen und Erläuterungen zu den Sermones (109-117). Das Verzeichnis der Eigennamen (143-156) stammt vom Dichter höchstpersönlich und belegt ein weiteres Mal seine große Belesenheit und die außergewöhnlichen Kenntnisse der griechisch-römischen Welt.

Michael Lobe sieht in dem Satirenbuch einerseits „ein kritisch-humorvolles Panoptikum unserer Gegenwart, ihrer Probleme, Versäumnisse und Dummheiten“ (121), glaubt andererseits, dass es „durchzogen ist von unaufdringlicher philosophischer Altersweisheit – kulminierend in der achten Satire mit ihrer zentralen Frage nach dem Wesen der Wahrheit“ (121).

Wir können dem Dichter Michael von Albrecht großen Dank aussprechen, dass er uns mit diesen Texten reich beschenkt hat. Sie enthalten viel Anregendes, Kritisches, Nachdenkliches, Witziges und zeichnen sich durch große Virtuosität aus. Dass unser Dichter auch ein ausgezeichneter Musiker und ausgewiesener Kenner der antiken Musik ist soll nicht unerwähnt bleiben. All seine besonderen Fähigkeiten tragen dazu bei, dass er auf ein imposantes Lebenswerk zurückblicken kann.

Rezension: Dietmar Schmitz

sermones

Markus Janka: Vergils Aeneis. Dichter – Werk – Wirkung. München: Beck 2021 (Beck Wissen) 128 S. mit zwei Schaubildern, 9,95 €.

Wie soll man Vergil lehren? Wie findet man zwei Jahrtausende, nachdem er von Q. Caecilius Epirota erstmals auf einen Lehrplan gesetzt wurde, einen adäquaten Zugang, der den Autor und seinen Text ernst nimmt und verständlich macht. Markus Jankas Beitrag zur Aeneis (und eigentlich zum ganzen Vergil) in der Reihe Beck Wissen (die die Autoren in ein strenges Seitenkorsett einpasst) findet darauf mitunter überraschende und zum weiteren Nachdenken im besten Wortsinne provozierende Antworten.

Diese Feststellung gilt vor allem für die ersten Kapitel. Janka setzt nicht – wie die bekannten Einführungen zu Vergil von Giebel bis Holzberg – biographisch ein, sondern mit einer detaillierten, dem Gehalt der einzelnen Wörter nachgehenden Interpretation des Proömiums (Aen. 1,1-11), wodurch Vergil als Erneuerer Homers (nicht sein Nachahmer!) deutlich wird: Vergil ist ein Hyperhomer, das lateinische Epos findet auf diese Weise  einen neuen Zugang zu alten Themen. Das wird im folgenden Kapitel noch ausgebaut, wenn die Aeneis mit den Kategorien der hellenistischen Epik, namentlich der Argonautika des Apollonios Rhodios, begriffen wird und vor allem als Vorwegnahme des carmen perpetuum et deductum (Ovids Selbstcharakterisierung im Metamorphosen-Promömium) erscheint: Die Aeneis ist ein radikal innovatives Werk – und so füge ich hinzu: Es war gerade Vergils Erfolg und seine Kanonisierung in Schule, Bildung und Kultur, der diese radikale Innovation rezeptionsgeschichtlich aus dem Bewusstsein rücken ließ. Es lohnt sich aber nicht nur für die schulische Beschäftigung, diese Dimension wiederzuentdecken.

Zwei weitere grundsätzliche Kapitel schließen sich an: In „Ille ego qui …“ spürt Janka ausgehend vom sog. Vorproömium der Aeneis dem Zusammenhalt von Vergils kanonischen Dichtungen nach und schafft so eine thematisch fokussierte Synopse von Eklogen, Georgica und Aeneis. In „Hic vir … Augustus Caesar“ liest Janka die Aeneis als ein zwar den Prinzipat des Augustus bejahendes, aber nicht panegyrisches Epos, dessen Protagonist Aeneas nicht einfach eine auf Identität abzielende Rückprojektion des historischen Augustus ist.

Der längere zweite Teil des libellus geht die einzelnen Aeneisbücher in einem close reading durch. Die einzelnen Bücher werden durch die jeweilige Zentralgestalt schon in den Überschriften charakterisiert, von Aeneas über Achaemenides und Dido bis hin zu Pallas, Camilla und Turnus: Der Tod des Turnus wird in all seiner Verstörung deutlich gemacht, eine versöhnliche Auflösung erfolgt weder bei Vergil noch bei seinem Interpreten.

Über die Rezeption Vergils von dessen Lebzeiten bis ins 21. Jahrhundert sind ganz Bibliotheken geschrieben und wären noch viele Supplemente zu schreiben. Janka beschränkt sich auf den zur Verfügung stehenden weniger als zwei Seiten darauf, einige Spuren in das späte 20. und frühe 21. Jahrhundert zu legen – eine Erinnerung für den Leser, dass mit dem Ende der Aeneis und Vergils Tod eben bei weitem nicht alles zu Ende ist.

Der durch die Reihe „Beck Wissen“ vorgegebene Umfang erlaubt keine ausführliche Bibliographie. Sie ist auf wenige, essentielle Titel beschränkt, weiteres ist dann ins Internet ausgelagert und kann dort auch prinzipiell immer wieder erweitert werden (https://www.chbeck.de/media/4300/inh_bw2884jankavergilsaeneis_978-3-406-72688-0_1a_literaturhinweise.pdf) – ich vermisse dort eigentlich nur die (in der Forschung notorisch unterbewertete) monumentale Enciclopedia Virgiliana (1984-1990) sowie von Richard Thomas und Jan Ziolkowski ihre fast ebenso monumentale Zusammenstellung „The Virgilian Tradition. The first fifteen hundred years“ (2008). Und vielleicht lässt sich als weiteres Download-Angebot auch noch ein Glossar realisieren, das vor allem der Verwendung durch Schüler in der gymnasialen Oberstufe zugute kommen könnte. Wie sehr der Raum ausgenützt wird, zeigt sich daran, dass sogar die Umschlaginnenseiten verwendet werden, um mit zwei Schemata (zum Aufbau der Aeneis und zur tragischen Struktur der Dido-Erzählung) auch optisch aufbereitetes Material zu präsentieren.

Bleibt mir nur als Fazit: Ich bin beeindruckt, wie der Verfasser ein so in jeder Hinsicht umfangreiches Werk konzentriert in den Griff bekommen hat, es instruktiv aufbereitet und auch dem, der schon oft sich am Vergil versucht hat, neue Anregungen bietet. Und das für weniger als 10 Euro!

Ulrich Schmitzer (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)

Jan Weidauer: Männlichkeit verhandeln: Von Lüstlingen, Kriegern und wahren Römern (1./2. Jh. n. Chr.). Heidelberg: Propylaeum, 2021. Mainzer Althistorische Studien (MAS), Bd. 9. https://doi.org/10.11588/propylaeum.813

Was bedeutet es, ein ,echter Mann‘ zu sein? Diese Frage will Jan Weidauer für die Elite des kaiserzeitlichen Rom beantworten. Seine Studie „Männlichkeit verhandeln“, eine geringfügig überarbeitete Fassung seiner in der Alten Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz eingereichten Dissertationsschrift, bietet ein Beispiel für ein zunehmendes Forschungsinteresse an Männern und Männlichkeit in der griechisch-römischen Antike. Die im Open-Access-Format publizierte Studie ist unter dem oben genannten Link dauerhaft frei verfügbar.

Im lesenswerten und klar strukturierten Einleitungskapitel führt Weidauer an Fragestellungen und Konzepte der Geschlechter- und Männlichkeitsforschung heran. Ausgehend von der Vorstellung von Geschlecht als kulturellem Konstrukt setzt er sich u.a. mit den Konzepten der Performativität von Geschlecht (Butler), der hegemonialen Männlichkeit (Connell) und des Habitus (Bourdieu) auseinander und skizziert auf dieser Grundlage seinen eigenen theoretisch-methodischen Zugriff, der sich besonders auf Bourdieu und Butler stützt. Ein nach Bereichen wie Sexualität, Rhetorik, Semantik usw. gegliederter Forschungsüberblick zeigt, inwiefern bereits eine „altertumswissenschaftliche Männlichkeitsforschung“ existiert.

Im diskursanalytischen Hauptteil untersucht Weidauer zuerst die Verspottung in sexueller Hinsicht devianter Männer im „satirischen Diskurs“, den er in Martials Epigrammen und Juvenals Satiren findet. Ergänzt wird diese Perspektive durch einen „ethnischen Diskurs“, wie er sich für Weidauer in den Ausführungen über Germanen bei Tacitus und in Bezugnahmen auf die griechische Athletik im Rhetorikhandbuch Quintilians manifestiert. Vor der Folie hypermaskuliner germanischer Krieger, hyperzivilisierter Graeculi oder dem Spott über effeminierte Männer lässt sich für das kaiserzeitliche Rom eine moralische Konzeption von Männlichkeit erkennen, wobei Selbstbeherrschung (continentia sui) und Leidensfähigkeit (virilis patientia) als Säulen der virtus die Grundlage männlicher Autorität darstellen. Durch entsprechendes Handeln in verschiedenen Lebensbereichen muss sich ein Römer in diesem Sinne als ,echter Mann‘ erweisen und seine Männlichkeit performativ aktualisieren.

Für die Auseinandersetzung mit dem seit Längerem im Zentrum des medialen Interesses stehenden Themas „Männlichkeit“ im altsprachlichen Unterricht bietet Weidauers anregende Studie zahlreiche Impulse.

(Rezension: Petra Schierl)

Cover Weidauer

Sappho, Lieder. Griechisch/Deutsch. Hrsg. und übersetzt sowie mit Anmerkungen und Nachwort versehen von Anton Bierl. Reclam Verlag: Stuttgart 2021. 448 S. EUR 14,80 (ISBN 978-3-15-014084-0)

Anton Bierl, Professor für Gräzistik an der Universität Basel, hat eine neue Ausgabe der Werke der griechischen Dichterin Sappho vorgelegt. Sie nannte sich selbst Ψάπφω/Psappho und wurde von Platon als zehnte Muse bezeichnet. Sappho wird nach Aussagen des Forschers für eine Ausnahmeerscheinung gehalten und galt als einzigartige selbständige Frau in einer Welt, in der Männer dominierten. Die Themen ihrer Lieder, die fast nur fragmentarisch überliefert sind, sind Eros und die weibliche homoerotische Liebe. Vieles Mysteriöse ist mit ihrer Person verbunden. Bierl bietet neben den griechischen Texten eine eigene Übersetzung ins Deutsche. Nur ein kleiner Bruchteil ihrer Texte ist tradiert, aber im Laufe der Zeit wurden immer wieder Textteile als Zitate bei anderen Autoren gefunden, zuletzt im zwanzigsten Jahrhundert, 2004 von zwei Kölner Klassischen Philologen (Michael Gronewald und Robert Daniel) und 2014 von dem amerikanischen Papyrologen Dirk Obbink. Bierl bietet den Lesern zweckmäßige Hilfen, einmal durch die zahlreichen Anmerkungen zu jedem Text, zum anderen in seinem sehr gehaltvollen Nachwort. Darin finden sich Hinweise auf die familiäre Herkunft Sapphos und auf die damalige Gesellschaft auf Lesbos (7./6. Jahrhundert v. Chr.), Ausführungen über ihre Auffassung von Lyrik, über Mythos, Rituale und Poesie und über die sogenannte Sapphische Frage: weibliche Homoerotik und der Mädchenkreis. Bierl bietet Einblicke in die Überlieferung und Anordnung des Textes und geht ausführlich auf die Rezeption ein. Er erläutert seine Vorstellung von Translation. Wer sich mit frühgriechischer Lyrik und speziell mit dem Werk Sapphos befassen will, wird viel Freude an diesem Buch haben, das auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand ist.

(Rezension: Dietmar Schmitz)

reclam sappho

Dennis Pausch: Virtuose Niedertracht. Die Kunst der Beleidigung in der Antike. München: Beck 2021. 223 S. € 22,--

Calumniare audacter, semper aliquid haeret – das ist leider kein antikes, sondern neuzeitliches Latein (und stammt von Francis Bacon), aber es trifft die Kunst der Verleumdung, die ars invectiva, von der Dennis Pausch (TU Dresden) zu berichten weiß, gewissermaßen wie der Hammer nicht den Nagel, sondern den Daumen – es tut weh, zumindest denen tut es weh, die die Antike immer noch auf das Gute, Wahre und Schöne beschränken.

Pausch gibt auf etwas mehr als 150 Textseiten einen Überblick über die Beleidigungskunst von Cato und der römischen Komödie bis zu Fronto und der Historia Augusta, wobei die Schwerpunkte auf Cicero und Catull, der Satire und Martials Epigrammen liegen, außerdem natürlich auf den Graffiti aus Pompei. Als Themenkomplexe identifiziert Pausch die Angriffe auf (republikanische) Politiker „von unten“, den Streit von Politikern oder Schriftstellern untereinander, die Polemik gegen Herkunft, (niedrige) Berufe oder abweichendes, v.a. effeminiertes Verhalten – man hätte auch noch den gnadenlosen Umgang mit körperlicher Behinderung hinzufügen können, aber das wäre vielleicht eine zu arge Provokation des modernen Lesepublikums gewesen.

Das Buch ist zum einen eine verlässliche, kurz gefasste Einführung in die Kunst der Beleidigung in Rom, zum anderen gewinnt es seinen aktuellen Bezugsrahmen durch die immer wieder eingestreuten Schlaglichter auf heutige Erscheinungsformen der Polemik und Beleidigung – ob das nun der battle rap, der Hashtag #notmyconsul oder die Drohung into your face Piso ist. Das ist nicht einfach mit der Wurst nach der Speckseite geworfen, sondern eine Ermutigung, die antiken Texte mit der Brille heutiger Erfahrung zu lesen. Denn die möglichen Aktualisierungen sind natürlich nicht auf die Stichworte Pauschs beschränkt, sondern lassen sich immer wieder neu generieren und auch ad hoc in die universitäre oder schulische Unterrichtspraxis transponieren. Das Buch in jeder Hinsicht anregend – und wenn wirklich ein Schüler oder eine Studentin dann auf Latein beleidigt, dann beleidigt er oder sie wenigstens gebildet.

(Rezension: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)

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