Döpp, S. (2023). Dozenten als Neulateinische Dichter. Die Erneuerung der Universität Frankfurt (Oder) unter Kurfürst Joachim II. Kartoffeldruck-Verlag: Speyer. 270 S. EUR 12,- (ISBN 978-3-939526-61-2).

Siegmar Döpp (D.) war Professor für Klassische Philologie in München, Bochum und Göttingen und hat den Fokus auch auf die Spätantike und die Humanistenzeit gerichtet. Mit einer Arbeit über Ovid (Virgilischer Einfluss im Werke Ovids, München 1968) wurde er promoviert, in seiner Habilitationsschrift befasste er sich mit Claudian (Zeitgeschichte in Dichtungen Claudians, Wiesbaden 1980). D. hat zahlreiche Aufsätze publiziert und war Mitherausgeber einiger Zeitschriften und Reihen (Hypomnemata, Hermes, Fontes Christiani usw.). In vielen Lexikonartikeln hat er seine Meisterschaft im Umgang mit der lateinischen Dichtung der klassischen Antike und deren Rezeption im Mittelalter, der Zeit der Renaissance und des neuzeitlichen Latein bewiesen. In seiner jüngsten Publikation befasst er sich mit einem Zeugnis der frühneuzeitlichen Bildungsgeschichte und macht ein wichtiges Dokument aus der Geschichte der Universität Frankfurt an der Oder (Viadrina) einem breiten Publikum zugänglich, das nicht zwangsläufig die lateinische Sprache beherrschen muss. Er bietet in der Einleitung wichtige Informationen zum Verständnis der Zeit, in der Kurfürst Joachim II. die Universität Frankfurt (Oder) erneuerte, und beleuchtet unter chronologischen Aspekten das Verhältnis zwischen Joachim II., der Viadrina und der Reformation (9-40). Da vielen Leserinnen und Lesern die Namen der Dozenten, die im 16. Jahrhundert an der Viadrina tätig waren, möglicherweise nicht bekannt sind, hat D. ein Kapitel verfasst, in dem er die Biogramme der Verfasser der Gedichte präsentiert (41-81). Daran schließen sich ein Kapitel mit dem lateinischen Text von Edictum, Carmina, Catalogus Autorum (82-117) und ein Kapitel mit den Übersetzungen der Gedichte samt Erläuterungen an (118-208). Es folgen ein Anhang: Von den disputationibus et declamationibus (209-210) sowie die Schlussbemerkung (211-216). Das Literaturverzeichnis ist sehr umfangreich und lädt zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema ein (217-265). Das Register mit Personen und Sachen (in Auswahl) zeigt die große Bandbreite, in der sich D. bewegt (267-270).

Da ich aus Platzgründen nicht auf alle Texte ausführlich eingehen kann, möchte ich drei Textbeispiele offerieren, damit die Leserinnen und Leser einen Eindruck von dem akademischen Betrieb der Viadrina erhalten.

Ich beginne mit Jodocus Willich (1501-1552); er war ein Universalgelehrter, er hatte an der Viadrina das Baccalaureat und später den Magistergrad erworben. 1524 wurde ihm die Professur für Griechisch an derselben Universität übertragen, ja er wurde sogar zum Rektor gewählt (51). Neben Griechisch unterrichtete er fast alle Fächer, vor allem Grammatik, Dialektik und Rhetorik. Willich beschäftigte sich insbesondere mit den Schriften des Hippokrates und des Galen (51). D. liefert in seinem Biogramm über diesen Dozenten der Viadrina weitere Einzelheiten, die zum Verständnis der Person und der Werke Willichs von Bedeutung sind (50-53). Ein erstes Textbeispiel möge zeigen, wie damalige Dozenten ihre geplante Vorlesung vorstellten. Hippokrates erfuhr durch Willich in der Ankündigung ein außerordentliches Lob (c. 7); vier Verse (in elegischen Distichen) sollen dies belegen:

Hunc lege siquando simul omnia tradita quaeris

            Si cupis ex vno discere cuncta viro.

Quicquid enim veteres tradunt, medicique recentes.

            His Cous medicis tradidit omne libris. (V. 15-18)

Übersetzung von S. Döpp: „Ihn [Rez.: gemeint ist Hippokrates] lies, wenn du einmal alles vereint vorgetragen suchst, wenn du alles von einem einzigen Mann zu lernen wünschst. Denn was immer die frühen Ärzte und die neuerer Zeit lehren, alles das hat der Mann von Kos in diesen heilkundlichen Büchern vorgetragen“ (151/152). Zu den einzelnen Versen bietet D. wichtige Informationen, im Anschluss daran offeriert er noch eine „ergänzende Kommentierung“ (154). Nach D. sei Hippokrates „nicht nur mit den Einsichten der Vorgänger (in Epos und Mythologie) vertraut gewesen, sondern habe -als Einzelner, wie es V. 16 ausdrücklich heißt, - auch die Erkenntnisse Späterer, der Ärzte jüngerer Zeit (medici recentes), gleichsam vorweggenommen. Das gelte sogar für die Lehre Galens (V. 25f.)“ (154). Hier wie bei den anderen Dozenten erhalten die Leserinnen und Leser zum einen die Möglichkeit, den Originaltext zu lesen, zum anderen mit Hilfe der Übersetzung und weiterführender Details die betreffende Textstelle besser einordnen zu können.

Ein zweites Beispiel ist der Vorankündigung des Christoph Preuss (1515-1590) entnommen; D. nennt mehrere Gedichte (in elegischen Distichen) und weitere Werke, die aus der Feder von Preuss stammen. Dieser erwarb den Magistergrad, lehrte Rhetorik an der Goldberger Lateinschule, bevor er auf Empfehlung von Melanchthon zum Lehrer für lateinische Poesie an die Viadrina berufen wurde. Später wurde er Dekan der Artistenfakultät und Rektor der Universität in Frankfurt/Oder. Er verfasste eine Werbeschrift als Vorankündigung zweier Vorlesungen über Vergil. Aus dem Carmen 9b möchte ich den Anfang zitieren, der den Inhalt von Vergils Aeneis zusammenfasst; dabei übernahm der Dichter einige Formulierungen des römischen Epos wörtlich:

In Aeneida Virgilii

Vt profugus Phrygijs Aeneas primus ab oris

            Promissam fato venerit Italiam,

Quæ tulerit toties terris iactatus, & alto,

            Passus & in bellis quanta sit ipse suis,

Primaque quæ fuerint altæ primordia Romæ,                           5

            Vnde Latinorum stirps cadat, atque genus,

Omnia quæ memorans, æternæ Aeneidos author

            Mœonijs numeris arma virumque canit.                         8 (98)

Übersetzung von S. Döpp: „Wie Aeneas als erster, von der phrygischen Küste fliehend, zu dem durch Götterspruch verheißenen Italien gelangte, was er, so oft zu Lande und zu Wasser umhergetrieben, ertragen und welch Schlimmes er in seinen Kriegen erlitten hat (5) und welches die ersten Anfänge des hochragenden Rom gewesen sind, weshalb der Stamm und das Geschlecht der Latiner unterliegt, dies alles erwähnt der Verfasser der unvergänglichen Aeneis und besingt in Homerischen Rhythmen die Waffen und den Mann“ (158/159). Unter dem Text bietet D. den Anfang der Aeneis auf Latein, um einen direkten Vergleich zu ermöglichen (158). Wie auch in den anderen Fällen erläutert D. Einzelheiten des Textes, um die Lektüre zu erleichtern. Im Gedicht (9b) wie auch in anderen Texten zeigt sich „die tiefe Verehrung des Humanisten für die Aeneis und das übrige Werk Vergils, dem unter den Dichtern Italiens und Deutschlands der höchste Rang zukomme“ (160). Preuss orientiert sich an antiken Vorstellungen, wenn er etwa das Epos als aeterna bezeichnet, also als unvergänglich. Ähnlich hat es bekanntlich Horaz gehalten, der am Ende des dritten Buches seiner Oden erklärt, er habe ein monumentum geschaffen, das auf immer bestehen werde (160).

Als drittes Beispiel möchte ich die ersten vier Verse des Carmen 17 von Kaspar Schulz zitieren, in denen er die Rhetorica von Melanchthon lobt:

Prælegam libros, quibus eloquendi

Vtilem clarus docet autor artem,

Bretta quem sacris adamata Musis

            Iactat alumnum (1-4).

Übersetzung von S. Döpp: «Ich werde eine Vorlesung halten über die Bücher, mit denen der ausgezeichnete Verfasser die nützliche Kunst der Beredsamkeit lehrt, den zum Zögling zu haben, das von den heiligen Musen geliebte Bretten sich rühmt“ (192). In den folgenden Versen (ebenfalls in sapphischen Strophen gedichtet) betont Schulz, dass jemand, der die Redekunst nicht beherrscht, nicht an den Fürstenhof berufen werden kann, auch nicht ein Richteramt erhalte und nicht die Emotionen seiner Zuhörer zu wecken in der Lage sei (191). D. liefert auch zu diesem Text hilfreiche Informationen, denn nicht jeder weiß, dass Melanchthon im württembergischen Ort Bretten geboren ist (1497), als Sohn des Waffenschmieds Georg Schwarzerdt (192, Anm. 543). In einer weiteren Anmerkung erfahren die Leserinnen und Leser bibliographische Angaben zum Werk Melanchthons (192, Anm. 542). Über den Verfasser der Vorlesungsankündigung gibt es leider nicht viele Informationen, weder kennen wir den Zeitpunkt der Geburt noch das Todesjahr. Bekannt ist nur, dass Schulz 1516 das Baccalaureat und 1535 den Grad des Magister Artium erworben hat (73). Zweimal wurde er zum Rektor der Viadrina gewählt (1538 und 1550, 74). D. stellt fest, dass es offensichtlich keine überlieferten Schriften von Caspar Schulz gibt (74).

Wie bei den angeführten Beispielen verfährt D. auch mit der Vorstellung der anderen Dozenten und ihrer Gedichte, in denen ihre Vorlesungen angekündigt werden. Für solche Ankündigungen wurden - wie D. vermerkt – verschiedene lateinische Begriffe verwendet: „scriptum publice propositum, intimatio/intimacio oder programma/πρόγραμμα“ (13). D. weist des Weiteren darauf hin, dass solche Vorlesungsankündigungen zwei Funktionen hatten: einerseits sollten der gewählte Autor und seine Werke gerühmt (laus), andererseits die Studenten informiert und angeregt werden, diese Vorlesungen zu besuchen (cohortatio)(14).

Insgesamt ist es sehr zu begrüßen, dass sich Klassische Philologen auch mit neuzeitlichen lateinischen Texten beschäftigen, sie edieren und übersetzen, denn auf diese Weise wird das Kontinuum der lateinischen Sprache deutlich und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Weitere Einzelheiten, Gründe für die Lektüre solcher Texte, hat N. Thurn bereits vor fast zwei Jahrzehnten genannt (N. Thurn, Das Studium neulateinischer Literatur im 21. Jahrhundert: Warum? Wozu? Wie?, in: Pegasus-Onlinezeitschrift VII/1, 2007, 46-56), zuletzt hat der Rezensent ein Plädoyer für die Lektüre neulateinischer Text verfasst (D. Schmitz, Plädoyer für die Lektüre neulateinischer Texte/Autoren am Beispiel von Michael von Albrecht, Litterarum Latinarum lumina. Colloquiis et epistulis evocata/Leuchten lateinischer Literatur in Gesprächen und Briefen, in: Forum Classicum, Heft 1, 2024, 36-49). Siegmar Döpp hat mit seiner Publikation einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der frühneuzeitlichen Bildungsgeschichte am Beispiel der Viadrina geliefert. Möge es ihm vergönnt sein, weitere Dokumente dieser Art zu bearbeiten und zu veröffentlichen.

Rezensent: Dietmar Schmitz