Sehr geehrte Frau Ministerin,

die zum Zweck von Einsparungen geplante einschneidende Kürzung in der Klassischen Philologie gut 500 Jahre nach der Berufung Philipp Melanchthons auf den nun zu streichenden Lehrstuhl hat unter den Mitgliedern des Deutschen Altphilologenverbandes große Bestürzung ausgelöst.

In der Hoffnung, dass trotz derzeitiger finanzieller Engpässe noch Raum für grundlegende Überlegungen bleibt, welchen Leuchtturm der geisteswissenschaftlichen Forschung und der Lehrerbildung es zu bewahren gilt, erlaube ich mir, die folgenden vier Gesichtspunkte in Erinnerung zu rufen:

  1. Halle und Wittenberg, überhaupt das ganze Land Sachsen-Anhalt mit der Winckelmann-Stadt Stendal sind einzigartige Zentren des deutschen Humanismus und Klassizismus. Diese Epochen erschließen sich nur über die lateinische und griechische Sprache und Literatur, aus deren lebendiger und vielfältiger Rezeption sie hervorgehen. Der einzige Universitätsstandort in Sachsen-Anhalt, an dem diese beiden Sprachen gelehrt und erforscht werden, muss erhalten bleiben, um den Zugang zu dieser regionalen Identität wahren und sie auch künftigen Generationen, die zwischen den Zeugnissen des Humanismus und Klassizismus aufwachsen, im Latein- und Griechischunterricht vermitteln zu können.
  2. Seit Friedrich August Wolf, der von dort aus die moderne Lehrerbildung mit ihren fachwissenschaftlichen und bildungs- und erziehungswissenschaftlichen Anteilen sowie ihrem Praxisbezug begründete, ist Halle ein Ort herausragender Lehrerbildung in Latein und Griechisch. Dieser einzige Standort ermöglicht es dem Land Sachsen-Anhalt, selbst qualifizierten Nachwuchs insbesondere für das nach wie vor nachgefragte Fach Latein heranzubilden. Die Kombinationsmöglichkeit mit Griechisch sorgt dafür, dass ein Lehramtsstudium in Sachsen-Anhalt auch für besonders interessierte und motivierte Studierende, die diese altsprachliche Fächerkombination bewusst suchen und die sich ansonsten anderweitig orientieren würden, attraktiv ist – und gerade diese Studierenden werden zu besonders Interesse weckenden und motivierenden Lehrkräften. Das Land Sachsen-Anhalt verlöre also durch die Streichung des gräzistischen Lehrstuhls viele gerade der besten angehenden Lateinlehrerinnen und Lateinlehrer.
  3. Die verbindlichen „Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung“, die die Kultusministerkonferenz (KMK) formuliert hat, sehen für die Fächer Latein und Griechisch neben den sprachlichen Kompetenzen auch die Fähigkeit vor, „lateinische bzw. griechische Texte im Zusammenhang des Werkes und der Gattung auf der Basis wissenschaftlicher Forschungen zu interpretieren“. Dies ist nur im Rahmen einer forschungsnahen, von entsprechenden fachwissenschaftlichen Professuren getragenen Lehrerbildung möglich. Eine Reduktion auf eine sprachpraktische und fachdidaktische Ausbildung ist ausgeschlossen, an allen Standorten der Lehrerbildung in Griechisch im deutschsprachigen Raum ist diese um fachwissenschaftliche Professuren angeordnet. Eine Ausbildung von Lehrkräften im Fach Griechisch, die den Anforderungen der KMK entspricht, ist ohne eine entsprechende Professur nicht möglich.
  4. Studierenden- und Lehrkräftebedarfszahlen sind an allen Standorten für Latein größer als für Griechisch. Gleichwohl sind beide Fächer in der Lehrerbildung nicht zu trennen: Die griechisch-römische Antike ist ein multikultureller Raum mit zwei vorherrschenden Sprachen, die römische Literatur ohne den Hintergrund der griechischen nicht verständlich. Eine fundierte Lehrerbildung im Fach Latein muss daher eine Reihe von gräzistischen Lehrveranstaltungen beinhalten, die über den bloßen Spracherwerb hinausreichen. Das ist die gängige Praxis an allen Standorten im deutschsprachigen Raum.

In der Hoffnung, dass diese Überlegungen zur Lehrerbildung und zur humanistisch-klassizistischen Tradition an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und in Sachsen-Anhalt in Ihre Entscheidungen einfließen mögen, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen

Stefan Freund