Der Griechischunterricht gehört zu den ältesten Schulfächern an den allgemeinbildenden Schulen in Deutschland und hat seine Hauptwurzeln im Humanismus der Reformationszeit (Philipp Melanchthon) und Neuhumanismus des 18. und 19. Jahrhunderts (Wilhelm von Humboldt). In beiden Fällen sollte die wissenschaftliche und (vor allem im 19. Jahrhundert) nationale Jugendbildung an den literarischen Quellen orientiert werden.
Historische Ursprünge des Griechischunterrichts in Deutschland
Das Bildungsprogramm der Humanisten des 14. bis 16. Jahrhunderts beruhte auf dem Glauben an die menschenformende Kraft der antiken Autoren. Dieser Bildungsbewegung ging es vor allem darum, durch Grammatik, Rhetorik, Geschichte, Dichtkunst und Moralphilosophie nicht nur geistige Genüsse zu bieten, sondern die Gesellschaft durch die Beschäftigung mit den antiken Originalquellen zu verbessern. Dabei galt das antike Griechenland als die ursprüngliche und stärkste Quelle abendländischer Wissenschaft, Bildung und Philosophie. Daneben wurde auch der theologische Erkenntniswert des Griechischen hervorgehoben. So besaß das Griechische für den Reformator, Humanisten und Bildungsreformer Philipp Melanchthon (1497-1560) nicht nur als Grundlage der Wissenschaft, sondern vor allem als Ursprache des Neuen Testaments eine besondere Bedeutung: Nur derjenige könne die Heilige Schrift kompetent auslegen, der über fundierte griechische Sprachkenntnisse verfüge. Somit müsse der umfassend Gebildete in der Lage sein, die griechischen Originale zu lesen.
Obwohl Melanchthon und andere Humanisten (z. B. Erasmus von Rotterdam) immer wieder ihre Hochachtung gegenüber dem Griechischen äußerten und zu seiner Ausbreitung an den höheren Schulen beitrugen, spielte das Griechische im Schulalltag eine bescheidenere Rolle. Zwar gehörte das Fach zumeist zum festen Bestand der Unterrichtsfächer, erreichte jedoch nicht die Bedeutung des wohl wichtigsten Faches Latein: Während z. B. das Lateinische in der Regel in allen fünf Jahrgangsstufen einer höheren Schule unterrichtet wurde, findet sich das Griechische zumeist nur auf zwei oder drei Stufen. Neben der Vermittlung der sprachlichen Grundlagen gelangte man deshalb lediglich zur Lektüre des Neuen Testaments und zu kleineren Schriften pädagogisch-lehrhaften Charakters. Hierzu gehören beispielsweise Texte des Fabeldichters Aesop, des Elegikers Theognis, der Redner Demosthenes und Isokrates und der Historiker Xenophon und Plutarch, z. T. auch Partien der Dichter Homer und Hesiod. Schließlich verlor der Griechischunterricht seit Ende des 16. Jahrhunderts durch das Erstarken der Naturwissenschaften und der Nationalsprachen spürbar an Einfluss und war weitgehend auf die Vermittlung von Sprachkenntnissen zur Lektüre des Neuen Testaments beschränkt.
Erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts erreichte der Griechischunterricht unter dem Einfluss des sog. ‘Neuhumanismus’ eine größere Bedeutung. Die Neuhumanisten erstrebten durch die Beschäftigung mit den Werken der klassischen Antike die „allgemeine Bildung des Menschen”, wobei die Griechen das normbildende Ideal darstellten. Dabei kam es den Neuhumanisten nicht in erster Linie darauf an, spezielle berufsbezogene Kenntnisse zu vermitteln, sondern in der Auseinandersetzung mit den antiken Autoren „Urteil und Geschmack, Geist und Einsicht” zu bilden. So wurde in dieser Zeit der Griechischunterricht durch das Engagement einiger Schul- und Bildungsreformer wie Johann Matthias Gesner (1691-1761), Johann August Ernesti (1707-1781) und Christian Gottlob Heyne (1729-1812) wieder ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gehoben und gewann allmählich an Ausdehnung. Schriftsteller, die fast nur in kleinen Übungsstücken benutzt worden oder z. T. aus der Schule verschwunden waren, wurden wieder in größerem Umfang gelesen: Hierzu gehörten u. a. der epische Dichter Homer, die Tragiker Sophokles und Euripides, der Philosoph Platon und die Historiker Xenophon, Herodot und Thukydides.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erhielt der Griechischunterricht unter dem Einfluss des Neuhumanismus zusätzlich eine wichtige gesellschaftspolitische Bedeutung. Nach der militärischen Niederlage Preußens gegen Frankreich im Jahr 1806 und dem Zusammenbruch des alten Gesellschaftssystems konnte nur eine durchgreifende gesellschaftspolitische Reform die weitere Existenz des preußischen Staates sichern. Dieses Reformvorhaben sollte durch eine umfassende Bildungsreform unterstützt werden. Mit dieser ist der Name Wilhelm von Humboldt (1767-1835) eng verbunden. Dabei konnte sich der Neuhumanismus als das Nationalerziehungskonzept durchsetzen. Nicht die Erziehung zur praktisch-beruflichen Brauchbarkeit, sondern eine sog. „allgemeine Menschenbildung” mit der harmonischen Entfaltung eines selbständigen, selbsttätigen und selbstverantwortlichen Individuums galten als wesentliche Elemente einer modernen Erziehung. In diesem liberalen Bildungskonzept bildeten die Klassischen Sprachen das entscheidende Element, wobei man dem Griechischen nicht nur wegen seines großen sprachlichen Reichtums den Vorzug vor dem Lateinischen gab. Vielmehr galt die griechische Kultur in der idealistischen Vorstellung der Neuhumanisten als die Verwirklichung von Vernunft, Freiheit und Schönheit und sollte als „das Ideal allen Menschendaseyns” (Humboldt) konkrete Handlungsorientierungen für die Schüler bieten, um die als negativ empfundene deutsche Gegenwart zu bewältigen. So wurde das Griechische zu einem zentralen Bestandteil des gymnasialen Fächerkanons. Im sog. „Süvernschen Normalplan” von 1816, der im Zuge der Reformierung der preußischen Gymnasien entwickelt wurde, erstreckte sich der Griechischunterricht erstmals auf vier Stufen. Nach einem zweijährigen Sprachkurs sollten in den beiden oberen Klassenstufen der Epiker Homer, die Historiker Xenophon und Herodot, der Tragiker Sophokles, der Redner Demosthenes und der Philosoph Platon im Original gelesen werden.
Seit der Humboldtschen Bildungsreform hat sich das Gesicht des Griechischunterrichts gewandelt. Dies lässt sich nicht nur an den grundlegend veränderten organisatorischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ablesen, sondern auch an inhaltlichen Grundpositionen. So kann z. B. die bei Humboldt vorgenommene Idealisierung der griechischen Antike nach heutigem Verständnis keine angemessene Grundlage des Griechischunterrichts sein, da sie historisch kaum zu rechtfertigen ist. Dennoch weisen diese Ansätze pädagogische Elemente auf, die auch für die Begründung des heutigen Griechischunterrichts wichtige Eckpunkte darstellen: Beispielsweise verstanden Melanchthon und Humboldt Griechisch zu Recht als ein gegenwartsbezogenes Schulfach, das den Schülern wertvolle Kenntnisse und Erfahrungen vermitteln kann, um sich selbständig, kritisch und verantwortlich mit Fragen und Problemen ihrer Gegenwart befassen zu können. Die Auseinandersetzung mit der griechischen Sprache und den Quellen der griechischen Originalliteratur war nach Ansicht beider Schulreformer Grundvoraussetzung für einen gegenwartsbezogenen Griechischunterricht und ist es auch noch heute.