Latein an der Schule

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Kommunikationssprachen dienen der Verständigung, Reflexionssprachen dienen dem Verständnis. Sprachverständnis ist eine Voraussetzung für Gedankenverständnis. Kenntnisse in Fremdsprachen ermöglichen kulturellen Austausch. Die landläufige Auffassung vom Zweck des Erlernens und Beherrschens von Fremdsprachen berücksichtigt bis hinauf in die EU- und OECD-Behörden vorrangig einen Aspekt: Sie geht im Wesentlichen von Alltagskommunikation und der Informationsvermittlung in Gebrauchstexten aus, in noblen Fällen von Literaturfähigkeit. Der Umgang mit Reflexionssprachen zielt hingegen auf ein differenziertes allgemeinsprachliches, muttersprachliches sowie textinhaltliches Verstehen ab.

Der Deutsche Altphilologenverband bietet in der Diskussion um Sinn und Zweck bestimmter Fremdsprachenkenntnisse, insbesondere des Latinums, zur Orientierung für Interessierte eine Handreichung mit Informationen über Ziele, Vorgänge und Erträge der Beschäftigung mit Reflexionssprachen, wobei der Schwerpunkt auf dem Lateinischen liegt. Damit will er Anstöße geben, die den Gedankenaustausch und die Debatten zum Thema Sprachkompetenz und Fremdsprachenkenntnisse bereichern können.

Seit der Wiedervereinigung Deutschlands hat der Lateinunterricht eine bemerkenswerte Konsolidierung mit fast stetig steigenden Schülerzahlen erlebt. Er wird zur Zeit von ca. 810 000 Schülerinnen und Schülern besucht (Schuljahr 2006/2007) und nimmt nach Englisch und Französisch den dritten Platz in der Rangliste der Fremdsprachen des allgemeinbildenden Schulwesens ein. Latein wird in erster Linie an Gymnasien, aber auch an Gesamtschulen unterrichtet, und zwar als zweite Fremdsprache ab Klasse 5, 6 oder 7, als dritte Fremdsprache im Wahlpflichtbereich ab Klasse 8 oder 9 sowie als spätbeginnende Fremdsprache ab Klasse 10 oder 11.

Da Latein die Basissprache Europas ist, beschäftigt sich der Lateinunterricht auf der Grundlage lateinischer Texte nicht nur intensiv mit der Sprache und Kultur des antiken Rom, sondern nimmt zugleich das Fortleben der lateinischen Sprache bis in die Neuzeit in den Blick. Dabei erweist sich der Lateinunterricht als Schlüsselfach zur europäischen Tradition. Auf dieser Grundlage vermittelt der Lateinunterricht als pädagogisches Mehrzweckinstrument vielfältige sprachliche, methodische, kulturelle und personale Kompetenzen und stellt ein für unsere Gegenwart wichtiges Orientierungswissen zur Verfügung. Dabei werden vor allem langfristig wirksame Qualifikationen erworben, wodurch Allgemeinbildung und Studierfähigkeit nachhaltig gefördert werden. Da in unserem Zeitalter der Dritten Industriellen Revolution spezialisiertes Fachwissen in immer kürzeren Abständen zu veralten droht, kommt derartigen Qualifikationen eine besondere Bedeutung zu.

Die Geschichte des Schulfachs Latein in Deutschland reicht bis ins frühe Mittelalter (ca. 720) zurück. Die ersten Schulen, die damals gegründet wurden, waren Klosterschulen, in denen Latein als allgemeine Unterrichtssprache gesprochen und gelehrt wurde. Daher kann man Latein als das älteste Unterrichtsfach in Deutschland bezeichnen. Latein, die „Vatersprache des Mittelalters“ bildete das Zentrum des gesamten mittelalterlichen Schulwesens: Nur wer diese Sprache in Wort und Schrift beherrschte, erhielt vollen Zugang zum kirchlichen Leben und zu den Bildungsgütern, die an Kloster-, Kathedral und Domschulen und seit dem Spätmittelalter auch an den städtischen Schulen vermittelt wurden. Neben der sicheren und aktiven Beherrschung der Sprache wurde im Lateinunterricht in großem Umfang antike Literatur behandelt.