Armin Eich: Die Verurteilung des Krieges in der antiken Literatur, Münster: Aschendorff 2021, 275 S., 36, -- €

Dass Bücher ihr eigenes Schicksal haben, ist ein beinahe zu Tode zitierter Gemeinplatz (Terentianus Maurus: habent sua fata libelli). Doch im Falle von Armin Eichs Buch hat die Sentenz erschreckende Wahrheit gewonnen, denn wenige Monate nach der Veröffentlichung (und während diese Zeilen geschrieben werden) ist der Krieg im Herzen Europas angekommen, hat der von Wladimir Putin angeordnete Überfall auf die Ukraine die Frage nach Krieg und Frieden sowie der Haltung zu dieser Frage aus der Theorie in die Wirklichkeit geholt. Insofern ist die Lektüre auch ein Musterbeispiel für die Rezeptionsgeschichte, nämlich dafür, wie die jeweiligen aktuellen Kontexte die Lektüre leiten.

Armin Eich, Professor für Alte Geschichte an der Universität Wuppertal, hat weder ein pazifistisches Manifest geschrieben noch einfach eine als Kopiervorlage geeignete Anthologie von antiken Friedenstexten. Sein teils im Detail interpretierendes, teils umfangreichere literatur- und geistesgeschichtliche Epochen paraphrasierendes Buch ist durchaus komplex, so komplex wie das Thema, und zugleich herausfordernd (auch zum Widerspruch – dazu später mehr). Und das ist auch gut so: Denn selbst die beste Sache verträgt keine simplifizierende Reduktion auf ein moralisch einwandfreies, aber unterkomplexes Schwarz-Weiß.

Das erste Kapitel (12-22) ist gleich ein Meisterstück und behandelt Thersites, der im zweiten Buch von Homers Ilias als pedestrer Gegner der griechischen Heerkönige eingeführt wird. Sein Aufruf, die der Wortwahl kaum von derjenigen großer griechischer Heerführer, die in Momenten der Verzweiflung durchaus auch ihrerseits über den Abbruch des Krieges räsonierten. Aber die persönliche Disqualifizierung als neidisch, zänkisch und eben nicht ebenbürtig disqualifiziert auch seine Argumente, und das nicht nur in der Erzählung der Ilias, sondern auch in der Rezeption bis in unsere Tage (besonders bezeichnend ist das Verdikt des Aristokraten Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff über „die giftige Kröte, die ihren Geifer gegen die Besten spuckt“).

Diese Buchvorstellung soll ja nicht die eigene Lektüre ersetzen, deshalb will ich hier die Themen eher summarisch nachzeichnen (dieser Beschränkung fallen auch Isokrates und Dion sowie die spätantike Historiographie zum Opfer). Mit unverkennbarer Sympathie beschreibt Eich die Auffassung des Empedokles, der Friede gehöre genuin zur kosmischen Ordnung (23-31). Daran schließt sich der Blick auf die hellenistische Philosophie (einschließlich Lukrez) an und geht dem menschheitsgeschichtlichen Bild von der (verkürzt gesagt) ursprünglichen Golden Zeit und der Herrschaft der Dike nach (32-46). Das Thema greift Eich gegen Ende des Buches noch einmal auf, wenn er den im 4. Jahrhundert n.Chr. wirkenden Pythagoreer Iamblichos und dessen „Projekt eines allgemeinen Weltfriedens“ vorstellt (245-254).

Das athenische Drama ist mit Euripides (47-64) und Aristophanes (65-75) vertreten. Die Troierinnen und die Helena geben den kriegskritischen Stimmen von Sklaven und Frauen ein Forum, doch bezweifelt Eich, dass das männliche Publikum sich davon wirklich beeindrucken ließ. Den Herakles liest er als dramatisierte Pathologie von Gewalterfahrungen und Gewaltphantasien, wie sie auch in der Gegenwart sogar in Amokläufen endeten. Nicht ganz so gut wie die subtilen, gegen den athenischen main stream angehenden Friedensbotschaften des Euripides kommen die Stücke des Aristophanes weg, mag darunter auch der Frieden sein, da sich darin keine prinzipielle Absage an den Krieg fänden, sondern nur jeweils sich aus der Komödienkonstellation ad hoc ergebende.

An der Stoischen Philosophie (83-101) werden vor allem ihre friedliebenden Anfänge (namentlich durch den Schulgründer Zenon) hervorgehoben, während bei späteren, dank des Überlieferungsschicksals wirkmächtigeren Autoren (u.a. Cicero) die Gedankengänge vergröbert oder gar entstellt worden seien – nur Seneca geht als positive Ausnahme durch. Auch die augusteische Dichtung (102-136) erfährt durchaus Kritik, da sie insgesamt zu nahe an Augustus und der römischen Ideologie der Expansion des Reiches durch Angriffskriege sei. Die vorbehaltlos gewürdigte Ausnahme ist Tibull, vor allem sein Pax-Hymnus (Tib. 1,10), der gerade vor dem Hintergrund der Kriegszüge, an denen Tibull in der Entourage des Messalla gezwungenermaßen teilnahm, seine aktuelle Signifikanz erhält. Aber selbst Tibull muss sich anhören, dass seine Haltung zum Krieg individualistisch sei und nicht darauf abziele, weitere Kreise gegen das Militärische zu mobilisieren, und er aus der bequemen Sicherheit der Parkanlagen und Villen schreibe, nicht als Existentiell Betroffener.

Für die neronische Literatur (137-151) befasst sich Eich mit der bukolischen Poesie, Lucans Pharsalia (Singular, nicht Plural!) sowie Petrons Satyrica. Auch wenn Calpurnius Siculus die neue Goldene Zeit mit der Regierung Neros heraufziehen sieht, so ist doch die damit verbundene Friedensvision sehr nahe an entsprechenden biblisch-alttestamentarischen Vorstellungen wie bei Jesaja und Micha – näher, so Eich, als Vergils vierte Ekloge. Lucan attestiert er, dass er zwar intensive und schreckliche Kriegsbilder liefere, aber nicht aus einer prinzipiellen Ablehnung des Krieges heraus, sondern nur (oder „nur“?) weil die falsche Seite gesiegt hat. Der Gegentext dazu sei das in die Satyrica eingelegte, von Eumolp vorgetragene Bellum Civile, ein - so Eich – der härtesten Abrechnungen mit dem Imperialismus, da Krieg und Bürgerkrieg nicht durch fehlerhaftes individuelles Verhalten entstanden seien, sondern die unausweichliche Konsequenz der römischen Expansion.

Spannend ist der Umgang der Christen mit dem Themenkomplex Krieg und Militär (drei Kapitel: 161-244). Bis zur Konstantinischen Wende ist die Frage nach der christlichen Haltung dazu zwar eher marginal, aber doch recht eindeutig: Auch wenn es – in der Paulinischen Tradition der Staatsbejahung – keinen Aufruf zur massenhaften Kriegsdienstverweigerung oder Desertion gibt, so ist das militärische sacrarium im Sinne des Ersten Gebotes hochproblematisch (besonders dezidiert äußert sich Tertullian dazu). Darüber hinaus gehen die christlichen Autoren in der Fortsetzung alttestamentarischer Friedensentwürfe davon aus, dass Kriege ein Zeichen dafür sind, dass die Welt eben noch defizitär und das kommende Friedensreich noch nicht Realität geworden ist. Doch kaum haben sich die Machtverhältnisse geändert, ändert sich auch die Haltung von christlichen Autoren – ganz besonders deutlich am Beispiel des Lactanz auf dem Weg von Divinae Institutiones zu De mortibus persecutorum, von der Erfahrung der Ungerechtigkeit und des Leidens hin zum unbedingten Vernichtungswillen gegen die, die er als Feinde des Christentums sieht – si verbis audacia detur: vom Paulus zum Saulus.

Gegen die mit der neuen Einheit von Christentum und Macht einhergehende Befürwortung von Militär und Krieg als machterhaltendes, positiv zu sehendes Moment erhoben sich nur wenige Stimmen. So sind sowohl die Vita des Mönches Panchomius als auch die Acta Archelai von einer tiefen Skepsis gegenüber Soldatischem geprägt, ganz zu schweigen davon, dass Basilius Soldaten auf eine Stufe mit Mördern stellte, da ein Schwert nun einmal eine Mordwaffe sei. Dem schloss sich auch Paulinus von Nola an. Doch stammen diese antimilitärischen Stimmen von Autoren, die keine institutionelle Karriere anstrebten und deshalb auch keinen tatsächlichen Einfluss auf staatlich-kirchliche Entscheidungen hatten. Das stellte sich für Augustinus schwieriger und differenzierter dar, denn enthält De civitate dei die umfangreichste christliche Abrechnung mit der römischen Pazifizierungspolitik und die Absage an die militärische Durchsetzung von imperialen Ambitionen. Solange aber die göttliche universelle Ordnung noch nicht erreicht ist, können auch Friedliebende dazu gezwungen werden, zu den Waffen zu greifen. Der von Eich S. 238 zitierte Satz ist im Frühjahr 2022 von geradezu erschreckender Aktualität: iniquitas enim partis adversae iusta bella ingerit gerenda sapienti.

Wenn man das Buch als groß angelegten Überblick über das Friedensthema von Homer bis zur Spätantike liest, ist man überaus beeindruckt von der Weite des Blicks aber auch vom Mut des Verfassers, sich auf ein solches Unternehmen einzulassen. Wenn man konkrete Auskunft zu einzelnen Epochen oder Autoren sucht, stellt sich die Sache differenzierter dar und es gibt sehr wohl Aspekte, die zum Widerspruch herausfordern (einiges dürfte schon aus meinem bisherigen Referat spürbar geworden sein), etwa die eher aleatorische Auswahl der angeführten Forschungsliteratur oder die häufig zu verspürende Tendenz, den Autor mit seinem Text gleichzusetzen oder. Für letzteren Aspekt ein Beispiel aus dem Abschnitt über Ovid (der ganz offenkundig nicht zu Eichs Lieblingsautoren gehört): Wenn Eich dem (für sich genommen in der Tat ziemlich martialischen) Distichon Ov. fast. 5,59-60 attestiert, es schmecke „schon ziemlich nach Reichsparteitag“ (S. 135), und darin einen Beleg dafür sieht, dass der Dichter auf seine alten Tage sich zu patriotischer Größe aufgeschwungen habe, dann darf man dagegenhalten: Dieses Lob des Mars ist Teil der Diskussion um die Bedeutung des Monatsnamens Mai, die von drei Musen (Polyhymnia, Urania, Calliope) geführt wird und die (anders als beim Venusmonat April) auch nicht zu einem eindeutigen Ergebnis gelangt. Vielmehr bleibt der Erzähler der Fasti am Ende ratlos zurück und weiß nicht, ob er einer der Musen oder überhaupt keiner glauben darf. Die inkriminierten Verse kommen also gerade nicht mit auktorialer Beglaubigung daher, sondern sind einer dezidiert als unzuverlässig angeführten Quelle in den Mund gelegt (vgl. etwa die ausführliche Behandlung der Passage bei Johanna Löhr, Ovids Mehrfacherklärungen in der Tradition aitiologischen Dichtens, Stuttgart/Leipzig 1996, 214-291). Es ist eben nicht so einfach mit der Gesinnung Ovids und überhaupt der Dichter. Dies ist ein Beispiel dafür (und gerade im Abschnitt über die augusteische Literatur finde ich eine Reihe davon), wie man mit gutem Grund auch deutlich anderer Meinung sein kann als Eich, ohne dass dadurch die Argumentation in Bausch und Bogen verworfen werden müsste.

Im Gegenteil: Das was Eich auf der letzten Seite seiner Darstellung schreibt, verdient vorbehaltlos unterstrichen und verbreitet zu werden (270): „Dieses Buch sollte vor allem daran erinnern, dass trotz aller Skandalisierung und Tabuisierung im griechischen und römischen Altertum Menschen den Mut gefunden haben, dem Krieg als menschlicher Aktionsform eine Absage zu erteilen.“ Ob das so entstandene Corpus im Lateinunterricht Caesar ersetzen soll (so der abschließende Satz Eichs) oder ob man es nicht auch aushalten muss, dass die Römer (und Griechen) nicht in allen Belangen untadelig und vorbildlich sind und dass das auch im altsprachlichen Unterricht abzubilden ist – das ist eine so alte wie immer neu zu führende Diskussion – ein weites Feld.

Ulrich Schmitzer (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)