Latein. Tot oder lebendig!? Autoren: Sigrid Albert, Cornel Dora, Helga Fabritius, Adam Gitner, Ingo Grabowsky, Andreas Joch, Hendrik Köplin, Matthias Laarmann, Jürgen Leonhardt, Tino Licht, Carolin Mischer, Josef Mühlenbrock, Verena Pfaff, Hans-Walter Stork, Wilfried Stroh, Jochen Walter. Stiftung Kloster Dalheim. LWL-Landesmuseum für Klosterkultur (Hrsg.): Lindenberg i. Allgäu 2022, Kunstverlag Josef Fink. 304 Seiten, ISBN 978-3-95976-375-2. 24,80 Euro
Die Neuerscheinung für den Monat Juni 2022 ist der Katalog zur Ausstellung „Latein: Tot oder lebendig!?“, die noch bis zum 8. Januar 2023 im LWL-Landesmuseum für Klosterkultur im Kloster Dalheim (bei Paderborn) stattfindet. Das 304-seitige, fest gebundene Buch enthält einen ausführlichen Einleitungsteil mit zwölf kleinen Essays und einen Katalog, der die Exponate der Ausstellung erläutert. Der erste Beitrag, verfasst von Ingo Grabowsky, dem Direktor der Stiftung Kloster Dalheim, gibt einen an den wichtigsten Eckpunkten orientierten Überblick über die Geschichte der lateinischen Sprache, vom dritten Jahrhundert vor Christus bis zu ihrer Situation in der Gegenwart. Der zweite Beitrag, aus der Feder der Kuratorin Carolin Mischer, trägt den Titel der Ausstellung und stellt deren Konzept vor, das sich im Wesentlichen an elf Biographien orientiert: Cicero als formgebender Redner trägt das etwas eigenartige Epitheton „der Mörder“ – eine Anspielung darauf, dass er mit seiner klassischen Formung des Lateinischen den Grundstein dafür legt, dass Latein zur ‚toten‘ Sprache werden kann; es folgen Horaz, vorgestellt als „Visionär“, Augustinus als „Brückenbauer“, Karl der Große als „Wegbereiter“, Hrotsvit von Gandersheim als „Dichterin“, Hildegard von Bingen als „Posaune Gottes“, Francesco Petrarca als „Erneuerer“, Erasmus von Rotterdam als „Europäer“, Johann Amos Comenius als „Lehrer“ (mit einem Anhang über den Lateinunterricht), Wilhelm von Humboldt als „Reformer“ und Asterix als „Botschafter“. Ciceros Leben und Werk skizziert sodann Wilfried Stroh. Einen lokalen Bezug stellt der Beitrag von Josef Mühlenbrock mit einem kurzen Blick auf antikes römisches Lesen und Schreiben im Lichte archäologischer Funde aus Westfalen her. Der Rolle des Lateinischen als Sprache in den frühmittelalterlichen Klöstern illustriert insbesondere am Beispiel von St. Gallen Cornel Dora. Hans-Walter Stork erläutert die Textüberlieferung lateinischer Klassiker zwischen Spätantike und Humanismus. Tino Licht gibt unter der Überschrift „Imitation und Innovation“ einen Überblick über die mittellateinische Dichtung. Wiederum auf Westfalen bezieht sich dann der Beitrag von Matthias Laarmann, der literarische Lobpreisungen der Region aus Mittelalter und Neuzeit vorstellt. Die Geschichte des Lateinischen als internationale Wissenschaftssprache verfolgt anschließend Jürgen Leonhardt. In Kontrast dazu beleuchtet dann Adam Gitner die Rolle des Lateinischen als „erotische Sprache“ – sei es in der Liebesdichtung, sei es in den Priapeia, sei es in alltagssprachlichen Zeugnissen aus Bordellen. Die beiden letzten Beiträge sind dem Lateinischen in der Gegenwart gewidmet: Die Latinitas viva stellt Sigrid Albert vor, den Spuren von „Latein in der Populärkultur“ – zu denken ist an Werbung, Produkt- und Firmenbezeichnungen, Tätowierungen, an Spiele und Bücher, die sich mit magischen Inhalten befassen, schließlich an Übertragungen zeitgenössischer Kinder- und Jugendliteratur ins Lateinische. Alle Beiträge sind ansprechend illustriert und mit einer kurzen lateinischen Zusammenfassung eingeleitet. Nun folgt der Katalogteil, in dem die Exponate näher erläutert werden. Gegliedert ist er, wie die Ausstellung selbst, entsprechend den elf ‚Biographien‘, die schon Carolin Mischer in ihrem Beitrag eingeführt hatte. So finden sich im ersten Teil beispielsweise Bildzeugnisse moderner Cicero-Rezeption, Handschriftenseiten aus der Überlieferung und eine römische Haarnadel als Anspielung auf die nur bei Cassius Dio (47,8,3f.) erwähnte Episode, dass Fulvia, um sich an der Rache ihres Mannes Marcus Antonius zu beteiligen, die Zunge des ermordeten Redners mit einem solchen Instrument durchstochen habe. Überhaupt nehmen Bücher und Schriftstücke einen sehr breiten Raum unter dem Ausgestellten ein. – Der Band mit seinen kurzen, aber gehaltvollen, auch für ein nicht fachkundiges Publikum gut zugänglichen Beiträgen bietet eine reizvolle Tour d’Horizon zu Geschichte und Gegenwart der (Schul-)Sprache Latein. Das Überraschende liegt eher in den Details, die hier mit leichter, sicherer Hand dargeboten werden. Grundstürzend Neues (etwa zu Latein in der digitalen Welt, zu Latein als Brückensprache usw.) sucht man ebenso vergebens, wie das weite Feld der literarischen und künstlerischen Rezeption weithin unerschlossen bleibt. Gleichwohl, das gute alte Latein ist liebevoll, lehrreich und in vielen Dingen höchst anregend dargeboten.
Stefan Freund (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)