John Scheid mit Milan Melocco / Nicolas Guillerat: Rom verstehen. Das Römische Reich in Infografiken. Aus dem Französischen von Martin Bayer. München: dtv 22022, 128 S., 26,-- €

Wer von uns, die wir uns in Schule, Universität oder sonstwo professionell mit der Antike befassen, hätte sich nicht schon einmal gewünscht, Rom wirklich zu verstehen. Eine neue Publikation aus dem Hause dtv, die entfernt an die früheren dtv- Atlanten (zur Philosophie, zur Geschichte etc.) erinnert, aber im Format auf ein mehrfaches Volumen gewachsen ist), verspricht ein solches Verstehen zu vermitteln.

Das Buch besteht aus drei Hauptkapiteln: „Gebiet und Bevölkerung des Römischen Reichs“ (9-33), „Verwaltung, Verehrung, Versorgung“ (35-73, gemeint ist eher „Kult“ oder „Religion“, aber dann wäre der Mittelteil des Trikolons gestört), „Die römische Militärmacht“ (72-125, was auch das Titelbild, dem ein römischer Militärhelm zugrunde liegt, prägt). Es ist klar, dass vormoderne Quellenarmut bzw. die selektive Wahrnehmung in diesen Quellen (etwa, dass bei den Einwohner- und Steuerzählungen Frauen, Kinder, Sklaven nicht erschienen) per se zu weniger zuverlässigen Zahlen führen, als wir Heutigen das aus den Medien gewohnt sind und auch als die Darbietung im Buch suggeriert (das ist gewissermaßen die warnenden Generalklausel), dennoch sind die hier vorgelegten Resultate unter diesen Prämissen eindrucksvoll und durchaus erhellend.

So erfährt man jeweils in Zahlen und veranschaulichenden Graphiken, dass das römische Territorium von 983 km2 am Ende des 6. Jahrhunderts auf 160 000 km2 im Jahr 90 v.Chr. anwuchs. Parallel dazu stieg die Gesamtbevölkerung der römisch beherrschten Gebiete von 3,5 Millionen 250 v.Chr. auf 46 Millionen 200 n.Chr. (12-13: die komplexe Graphik ist hier besonders erhellend), während Rom selbst im 3. Jahrhundert n.Chr. 1,75 Millionen Einwohner erreichte (wie die Zahlen erhoben werden, wird nicht erörtert, vgl. aber die knappe, doch erhellende und differenzierende Darstellung bei F. Kolb, Das antike Rom, München 22009, Register s.v. Einwohnerzahl). Eine ganze Seite (17) ist den unterschiedlichen Gebäudetypen in den römischen Stadtregionen gewidmet, was als bloßer Text sicher nicht so instruktiv ausgefallen wäre.

So könnte man nun die einzelnen Abschnitte durchgehen, aber das ist eigentlich gar nicht nötig. Wer solche graphischen Darstellungen als hilfreich schätzt, findet hier reiches Material und wird gewiss an so mancher Stelle länger verweilen. So ist für mich die Graphik mit dem jeweils ersten Auftreten der Götter in Rom durchaus erhellend (54-55), während man die zeichnerische Darstellung der römischen Innenstadt und ihrer Monumente (18-19) so oder so ähnlich schon oft gesehen hat. Hilfreich sind auch die geographisch-quantifizierenden Angaben über die Verteilung und Entwicklung der Religionen im Imperium Romanum oder (etwas überraschend unmittelbar anschließend) der Wirtschaft und des Handels.

Wen die römischen Legionen faszinieren, der findet etwa Angaben über das jeweilige Aufstellungsjahr und die Zahl der Feldzüge und sogar über die Abzeichen, über die Schlachtordnungen und Kampftaktiken im Lauf der Jahrhunderte (z.B. zu Cannae und Zama), über die Wege und Aufenthaltsorte von Caesars Legionen in Gallien etc. etc. Oder mit einem Wort: Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen. Und wer das Buch richtig zu benutzen weiß und sich über die nicht immer stabile Faktengrundlage im Klaren ist, kann für die Lehre und die eigene Belehrung eine Reihe von nutzbringenden Informationen (mitsamt deren graphischer Aufarbeitung) gewinnen.

Das Buch kann seine französische Herkunft (zuerst: Paris 2020) nicht verleugnen: Halbwegs unproblematisch ist die relativ prominente Stellung Galliens (32-33: „Mosaik der Stämme“, womit die gallischen Stämme gemeint sind), denn auch hierzulande liest man ja Caesars Bellum Gallicum (vgl. 119-123) und kennt das römische Trauma der Besetzung des Kapitols durch die gallischen Senonen. Aber die Bibliographie, die ausschließlich aus französischen und englischsprachigen Titeln besteht hätte doch ein wenig redaktionelle Anstrengung verdient gehabt, um die Weiterarbeit zu erleichtern und auch die deutschsprachige Forschungsleistung zu würdigen und dem Zielpublikum entgegenzukommen (dass selbst Ronald Symes Roman Revolution in der französischen Übersetzung angeführt ist, lässt sich nur mit verlegerischer Bequemlichkeit rechtfertigen).

Ulrich Schmitzer (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)