Der Westfälische Frieden. Lateinisch/deutsch. Herausgegeben, übersetzt und mit Erläuterungen und einem Nachwort versehen von Gerd Flemmig. Ditzingen: Reclam 2021. 399 S., 14,80 €.
„′s ist Krieg! ′s ist Krieg! O Gottes Engel wehre, / Und rede du darein! / ′s ist leider Krieg - und ich begehre / Nicht schuld daran zu sein!“ Dieses berühmte „Kriegslied“ des Matthias Claudius aus dem Jahr 1778 spricht ebenso von der tiefen Sehnsucht nach Frieden in Zeiten des Krieges wie Immanuel Kants immer noch fundamentale Schrift „Zum ewigen Frieden“ (1795) oder Joseph Haydns Missa in tempore belli (1796). Dabei war doch schon eineinhalb Jahrhunderte zuvor der weltweite Friede ausgerufen worden nach den lange nachwirkenden, traumatischen Erfahrungen des Dreißigjährigen Kriegs (Herfried Münkler, Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618–1648, Berlin 2017) – der in Münster und Osnabrück verhandelte und geschlossene, auf unbegrenzte Dauer angelegte Westfälische Frieden von 1648.
Die Dokumente dieser Instrumenta Pacis hat nun Gerd Flemmig (den Besuchern der DAV-Kongresse als Leiter von Arbeitskreisen wohl vertraut) in einer handlichen und preisgünstigen Ausgabe zweisprachig verfügbar gemacht. Den Kern bilden selbstverständlich die beiden Verträge, der von Osnabrück mit den Bestimmungen für das Reichsgebiet, der von Münster mit den Bestimmungen über das Verhältnis zwischen Frankreich und dem Reich (jeweils mit einem Inhaltsverzeichnis versehen). Es beginnt mit der aufs Ganze zielenden Formulierung pax sit Christiana, universalis, perpetua veraque et sincera amicitia inter Sacram Caesaream Maiestatem, Domum Austriacam …, um dann sehr detailliert und kleinteilig voranzuschreiten und jede Region oder jeden Sachverhalt von Relevanz auch explizit zu regeln, z.B. (Art. 11, § 1)
Pro aequivalente autem recompensatione Electori Brandenburgico, Domino Friderico Wilhelmo, quod ad promovendam pacem universalem iuribus suis in Pomeraniam Citeriorem et Rugiam una cum ditionibus locisque supra annexis cesserit, praestanda, eidem eiusdemque posteris et successoribus, haeredibus atque agnatis masculis, cumprimis Dominis Marchionibus Christiano Wilhelmo, olim Administratori Archiepiscopatus Magdeburgensis, item Christiano Culmbacensi et Alberto Onolsbacensi eorundemque successoribus et haeredibus masculis, statim ac pax cum utroque Regno et Statibus Imperii composita et ratificata fuerit, a S. Caesarea Maiestate de consensu Statuum Imperii et praecipue interessatorum tradatur Episcopatus Halberstadiensis cum omnibus iuribus, privilegiis, regalibus, territoriis et bonis secularibus et ecclesiasticis, quocunque nomine vocatis, nullo excepto, in perpetuum et immediatum feudum. Constituatur item Dn. Elector statim in possessione eiusdem quieta et reali eoque nomine sessionem et votum in Comitiis Imperii et Circulo Inferioris Saxoniae habeat.
Als gleichwertige Entschädigung soll dem Kurfürsten von Brandenburg, dem Herrn Friedrich Wilhelm, weil er zur Förderung des allgemeinen Friedens auf seine Rechte in Vorpommern und auf Rügen einschließlich der dazugehörigen zuvor erwähnten Herrschaften und Orte für sich und seine Nachkommen, Nachfolger, Erben und männlichen Anverwandten, insbesondere für die Herren Markgrafen Christian Wilhelm, den einstigen Administrator des Erzbistums Magdeburg, sowie für Christian von Kulmbach und Albrecht von Ansbach sowie für deren männliche Nachfolger und Erben, verzichtet hat, sofort, sobald der Frieden mit beiden Königreichen und den Reichsständen geschlossen und ratifiziert worden ist, von der Kaiserlichen Majestät mit Zustimmung der Reichsstände und besonders der unmittelbar beteiligten das Bistum Halberstadt mit allen Rechten, Privilegien, Regalien, weltlichen und geistlichen Gebieten und Gütern, welchen Namen auch immer diese haben mögen, ohne Ausnahme als immerwährendes und unmittelbares Reichslehen übertragen werden. Ebenso soll der Herr Kurfürst sogleich in den ungestörten und tatsächlichen Besitz dieses Bistums eingesetzt werden und unter diesem Namen Sitz und Stimme auf den Reichstagen und im Niedersächsischen Kreis haben. Etc. etc.
Die Passage gibt auch einen Einblick in den lateinischen Duktus des Originals sowie des sachlichen Stils der Übersetzung. Da die Rechtssprache des 17. Jahrhunderts auch mit guten Kenntnissen der klassischen Latinität nicht immer unmittelbar verständlich ist, hat Flemmig ein eigenes erläuterndes Kapitel zu den sprachlichen Besonderheiten (291-303, hauptsächlich eine Wortliste) beigegeben. Das ist ebenso hilfreich wie die Anmerkungen und die Zusammenstellung von Begriffen, Verträgen und Ortsnamen sowie der an den Verhandlungen beteiligten Personen. Nur bei der Landkarte mit den Friedensschlüssen (364-365) kommt das Format eines Reclam-Heftes und der Graustufendruck an seine Grenzen, hier wäre ein zusätzlicher externer Link sinnvoll gewesen. Insgesamt ist aber auch diese Appendix sehr sorgfältig gearbeitet, auch kleinere Versehen sind selten (etwa S. 285, wo die den Jesuitenorden begründende päpstliche Bulle nicht „Regimini ecclesiae militaris“, sondern „Regimini militantis ecclesiae“ heißen muss – wohl nach F.M. Oertel, Die Staatsgrundgesetze des deutschen Reiches, Leipzig 1841, 309, Anm. 24 mit ähnlichem Duktus). Das Buch wird durch eine ausführliche, die Weiterarbeit ermöglichende Bibliographie beschlossen sowie durch ein Nachwort, das noch einmal Voraussetzungen, Kriegsverlauf, Ablauf und Inhalte der Verhandlungen sowie die Folgen knapp darstellt. Auch wenn nicht klar gesagt wird, wer die Zielgruppe ist, so lässt sich neben den allgemeininteressierten Lesern vor allem an den (vertieften) Geschichtsunterricht denken, aber auch für einen Ausflug in die Neuzeit im Rahmen des Lateinunterrichts ist ein Fundament gelegt, auf dem je nach unterrichtlicher Situation spezifisch aufgebaut werden kann.
Flemmig verzichtet auf vordergründige Aktualisierungen und überlässt es den Leser:innen, ihre eigenen gegenwärtigen Erfahrungen in historischer Brechung wiederzufinden – Erfahrungen, die seit dem 24. Februar 2022 eine bis dahin ungeahnte Nähe von Krieg und Hoffnung auf Frieden enthalten. Aber die Lektüre der Instrumenta Pacis zeigt auch, dass ein Friede sorgfältig ausgehandelt und gesichert werden muss, dass eben viele Details zu bedenken sind und dass es auch Instrumentarien geben muss, um die allseitige Einhaltung zu garantieren.
Ulrich Schmitzer (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)