Peter Schäfer, Die Schlange war klug. Antike Schöpfungsmythen und die Grundlagen des westlichen Denkens, München (C.H. Beck) 2022, 978-3-406-79042-3, 34,00 €

Woher kommt die Welt und welche Rolle spielt der Mensch darin? – Man kann sich wenige Fragen vorstellen, die epochenübergreifend von solcher Bedeutung sind. Der Judaist Peter Schäfer zeigt in seinem Buch, das eine wahre tour d’horizon durch die Geschichte des menschlichen Denkens vom Alten Orient über die Antike bis in die Neuzeit ist, wie stark sich vor Jahrtausenden angelegte Grundlinien nach wie vor durch unser Denken ziehen. Der Aufbau des Buches ist klar: Zunächst stellt Schäfer die beiden Schöpfungsberichte sowie der Erzählung von der Sintflut dar. Darauf folgen die altorientalischen Epen, die der auch in ihrer ungewöhnlichen Darstellungsweise bildhaft und präzise vor Augen führt, um sie dann der hebräischen Bibel gegenüberzustellen. Dabei rückt Schäfer, nötigenfalls philologisch fundiert, stets aber gut fasslich argumentierend, immer wieder verbreitete Missverständnisse zurecht – etwa, dass die hebräische Bibel eine creatio ex nihilo vertrete (39). Überrascht sein wird man auch, wenn der Auszug aus dem Paradies nach Schäfer nicht eine Bestrafung beschreibt, sondern eher einen Schritt in die Autonomie und Zivilisation (109–111). Es folgen Kapitel über Platon (Demiurg und Weltseele) und Aristoteles (unbewegter Beweger) – interessant hierbei sind die Unschärfen, die Schäfer herausarbeitet, und die Wechselwirkungen zur jüdisch-christlich-islamischen Denktradition. Wie glücklich die Einbeziehung der beiden Philosophen ist, zeigt sich dann auch im Kapitel über Philon von Alexandrien, die sich wiederum intensiv in seiner Deutung der biblischen Schöpfungsdarstellung von Platon beeinflusst zeigt. Ein nächstes Kapitel widmet Schäfer den mechanistischen Welt- und Kulturentstehungslehren der Atomisten – ausführlich und anregend kommt dabei Lukrez in den Blick. Das Kapitel über die rabbinische Schöpfungstheologie und die Auseinandersetzung mit der Rezeption der hebräischen Bibel (als Altes Testament) durch die Christen bietet gerade den von den klassischen Altertumswissenschaften Herkommenden interessante Einsichten. Das Schlusskapitel gestaltet Schäfer als Kulturgeschichte des Erbsündengedankens. Immer wieder sucht Schäfer die Engführungen herauszuarbeiten, die sich seines Erachtens, im historischen Durchblick, aus dieser Lehre ergeben – in seinem Epilog zieht Schäfer eine Verbindung zum berüchtigten Staatsrechtler Carl Schmitt (373–383). Ein weiteres beeindruckendes Beispiel für die ideologiekritische Wachheit, die Schäfers Buch charakterisiert, sind seine Ausführungen zum Bibel-Babel-Streit (69–81) – wie gern läse man das einfach nur mit historisch-distanziertem Amüsement als Charakterstudie des Wilhelminismus, doch allzu deutlich zeigen sich die Züge des später so verheerenden Antisemitismus. – Was Schäfer bietet, ist ein höchst anregender und kundiger Durchblick über die Kontinuitäten orientalischen und antiken Denkens bis in die Gegenwart. Gerade die judaistische Perspektive erweist sich dabei als lohnend und impulsgebend. Man bedauert, dass Schäfer die Kosmo- und Anthropogonie sowie die Sintflutstoffe in der antiken Mythologie (schön zusammengefasst im Artikel „Weltschöpfung“ des Neuen Pauly 12/2, 465–467) außer Betracht lässt – gerne hätte man gelesen, was Schäfer dazu Anregendes zu sagen gewusst hätte!

Stefan Freund